Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen lang andauernder Erkrankung. Pflicht des Arbeitgebers zum Angebot eines anderen leidensgerechten Arbeitsplatzes nur dann wenn zur Zeit der Kündigung zumindest absehbar ist, dass ein derartiger Arbeitsplatz vorhanden ist

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, zur Vermeidung einer krankheitsbedingten Kündigung dem Arbeitnehmer einen freien „leidensgerechten” Arbeitsplatz anzubieten. Maßgeblich sind dabei die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Zu diesem Zeitpunkt muss ein entsprechender Arbeitsplatz frei gewesen sein, zumindest aber absehbar alsbald nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe (Urteil vom 12.11.2003; Aktenzeichen 8 Ca 333/03)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 24.11.2005; Aktenzeichen 2 AZR 514/04)

 

Tenor

1.Die Berufung des Klägers gegen dasUrteil des Arbeitsgerichtes Karlsruhe vom12.11.03 – Az.: 8 Ca 333/03 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3.Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit der am 06.06.03 erhobenen Kündigungsschutzklage wehrt sich der Kläger gegen eine schriftliche Kündigung der Beklagten vom 22.05. zum 30.09.03.

Der am 07.09.1959 geborene Kläger ist verheiratet und Vater zweier unterhaltsberechtigter Kinder. Er ist gelernter Elektroinstallateur. Ab dem 03.02.1997 stand er mit der Beklagten, welche Automobile herstellt, in einem Arbeitsverhältnis als Karosserieschlosser im Bereich: „Karosseriebau-Rohbau” zu einem monatlichen Bruttoentgelt von etwa Euro 2.700,00. Im April 1999 erlitt er einen Bandscheibenvorfall. Im August 1999 nahm er seine Arbeit bei der Beklagten wieder auf. Ab Anfang Januar 2001 arbeitete der Kläger in der sog. PVC-Nahtabdichtung. Infolge einer neuerlichen Bandscheibenerkrankung war der Kläger ab dem 14.11.01 bis zum Zeitpunkt der Kündigung dauernd erkrankt. Zunächst wurde er bis zum 27.12.01 von einem Rehabilitationsträger ambulant und sodann vom 12.12.02 bis zum 16.01.03 stationär behandelt und im Anschluß an eine Kurmaßnahme im Februar 2003 als arbeitsunfähig entlassen. Gegenüber einer Personalbetreuerin der Beklagten äußerte der Kläger Ende Februar 2003, dass er sich zur Zeit eine Wiederaufnahme seiner Tätigkeit aufgrund seines Kreuz- und Bandscheibenleidens nicht vorstellen könne und erwähnte die Möglichkeit einer Operation in der „Charité”, auch erwog er die Beantragung einer Erwerbsunfähigkeitsrente.

Am 13.05.03 erstellte der Werksarzt der Beklagten, Herr Dr. med. D. F., eine arbeitsmedizinische Beurteilung mit folgender Abschlußbewertung: „Aufgrund des Gesamtverlaufs ist aus arbeitsmedizinischer Sicht und Erfahrung mit einer Arbeitsfähigkeit von Herrn H. für die verfügbaren Tätigkeiten in absehbarer Zeit nicht zu rechnen und somit von einer ungünstigen Zukunftsprognose auszugehen”.

Mit Anhörungsbogen vom 14.05.03 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, das Arbeitsverhältnis krankheitsbedingt kündigen zu wollen. Sie verwies hierbei auf den Befund des Werksarztes und verneinte die Verfügbarkeit eines leidensgerechten Arbeitsplatzes außerhalb der Produktion. Zu den Angaben zur Person des Klägers führte sie aus, dass er nicht schwerbehindert sei und laut Steuerkarte keine Kinder habe. Der Betriebsrat widersprach am 21.05.03 dieser Kündigungsabsicht mit dem Hinweis, der Kläger habe einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter beim Versorgungsamt gestellt, so dass er dem besonderen Schutz für Schwerbehinderte und Gleichgestellte nach § 85 SGB IX genieße.

Tatsächlich hat der Kläger am 19.05.2003 einen solchen Antrag gestellt.

Mit Bescheid vom 27.05.03 wurde er als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behindung von 30 % seit dem 01.01.02 anerkannt. Am 28.05.03 stellte er einen Erhöhungsantrag. Mit Bescheid des Arbeitsamtes vom 08.08.03 wurde er – mit Rückwirkung zu 28.05.03 – einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Hiergegen führt er – soweit ersichtlich – Klage mit dem Ziel, als schwerbehinderter Mensch zu einem Grad der Behinderung von mindestens 50 % anerkannt zu werden.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, wegen seines Wirbelsäulenleidens nicht mehr in der Lage zu sein, die bislang verrichteten Abdichtungsarbeiten weiterhin zu versehen. Allerdings hätte die Kündigung vom 22.05.03 vermieden werden können. Zu diesem Zeitpunkt sei bereits vorhersehbar gewesen, dass zum Jahresende 03 ein Arbeitsplatz im Lager der Abteilung WSI freiwerde. Derartige Lagerarbeiten könne er verrichten.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.05.2003 nicht beendet wird.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Aufgrund der Untersuchung des Werksarztes Dr. F. vom 13.05.03 und der eigenen Angaben des Klägers stehe fest, dass er mit Sicherheit nicht wieder seine Arbeitsfähigkeit zurückerlangen werde. Die Kündigung hätte auch nicht durch eine Umsetzung in die Abteilung WSI vermieden werden kö...

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