Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfolgen des Verlustes des Kündigungsschutzes eines Mandatsträgers durch Rücktritt vom Betriebsratsamt und Begründung neuen vollen Kündigungsschutzes als Wahlvorstandsmitglied hinsichtlich eines bereits eingeleiteten Zustimmungsersetzungsverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

Ein bereits eingeleitetes Zustimmungsersetzungsverfahren gem. § 103 Abs. 2 BetrVG erledigt sich nicht, sondern kann fortgeführt werden, wenn der Mandatsträger seinen vollen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG durch Rücktritt vom Betriebsratsamt verliert, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit ein neuer voller Kündigungsschutz gem. § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG als Wahlvorstandsmitglied begründet wird und der Arbeitgeber in dem Zeitraum, in dem die außerordentliche Kündigung des Mandatsträgers nicht der Ersetzung der Zustimmung des Betriebsratsgremiums durch das Arbeitsgericht bedurfte, aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage war, eine Kündigung auszusprechen.

 

Normenkette

BetrVG § 13 Abs. 2 Nr. 2, § 24 Nr. 2, § 103 Abs. 2; BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 15 Abs. 1, 3

 

Verfahrensgang

ArbG Pforzheim (Entscheidung vom 17.02.2016; Aktenzeichen 6 Ca 348/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.11.2017; Aktenzeichen 2 AZR 14/17)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 17. Februar 2016 - 6 Ca 348/15 - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

    1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10. August 2015 nicht aufgelöst wurde.
    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen.

  • III.

    Für die Klägerin und für die Beklagte wird die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen der Beklagten und Zahlungsansprüche der Klägerin aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Die Klägerin hat außerdem einen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt.

Die am 00. 0000 1963 geborene, verheiratete Klägerin, die gelernte Einzelhandelskauffrau ist, war seit 15. Juli 1998 bei der Beklagten, die ein Tagungs- und Bildungszentrum betreibt und zirka 50 Arbeitnehmer beschäftigt, beziehungsweise deren Rechtsvorgängerin auf der Grundlage der Arbeitsverträge vom 1. Mai 2000 (Bl. 8-12 d. Akte-ArbG), 27. Juni 2003 (Bl. 13-19 d. Akte-ArbG) und zuletzt 1. Februar 2007 (Bl. 20 d. Akte-ArbG) tätig. Sie wurde zuletzt als Abteilungsleiterin Housekeeping mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,5 Stunden beschäftigt.

Die Klägerin war seit dem Jahr 2005 Vorsitzende des im Betrieb der Beklagten gebildeten fünfköpfigen Betriebsrats. Die zwei zuletzt gewählten Ersatzmitglieder schieden in der ersten Hälfte des Jahres 2014 aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Die Klägerin hat aus privaten Gründen ihren Wohnsitz in W., das zirka 250 Kilometer vom Betriebssitz der Beklagten entfernt liegt.

Nachdem die Beklagte die Klägerin infolge von Gästebeschwerden darauf hingewiesen hatte, dass die Klägerin zur Erfüllung ihrer Leitungs- und Aufsichtsfunktion öfter als die bisherigen drei Tage pro Woche am Arbeitsplatz präsent sein müsse, kam es im Jahr 2014 zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien, woraufhin die Beklagte die Klägerin am 14. März 2014 anwies, fünf Tage pro Woche im Betrieb anwesend zu sein. Die Klägerin, die in ihrer Eigenschaft als Abteilungsleiterin auch die Dienstpläne erstellte, teilte sich dennoch weiterhin nur drei Tage pro Woche zum Dienst ein. Daraufhin erteilte die Beklagte ihr eine Ermahnung und sodann am 7. April 2014 und 19. Mai 2014 Abmahnungen. Als die Klägerin sich weiterhin weigerte, der Anweisung Folge zu leisten, beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 5. Juni 2014 bei ihrem Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin wegen einer am 3. Juni 2014 begangenen Arbeitsverweigerung, was das Betriebsratsgremium am 6. Juni 2014 ablehnte.

Am 10. Juni 2014 leitete die Beklagte beim Arbeitsgericht Pforzheim das Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG ein. Das Arbeitsgericht Pforzheim wies den Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 16. Oktober 2014 zurück. Auf die Beschwerde der Beklagten änderte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2015 durch am selben Tag verkündeten Beschluss den arbeitsgerichtlichen Beschluss ab und ersetzte die verweigerte Zustimmung zur beantragten außerordentlichen Kündigung der Klägerin (Az: 18 TaBV 6/14). Das Protokoll der Sitzung vom 16. Juli 2015 wurde den hiesigen Parteien am 27. Juli 2015 zugestellt. In einer Sitzung des Betriebsrats am 3. August 2015 legte die Klägerin ihr Betriebsratsamt nieder und verließ gegen 15.00 Uhr die Betriebsratssitzung. Gegen 17.00 Uhr bestellte der Betriebsrat in seiner noch andauernden Sitzung einen dreiköpfigen Wahlvorstand für die einzulei...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge