Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit einer tariflichen Jahressonderzahlung in der Chemischen Industrie für ganzjährig Beschäftigte in ungekündigter Stellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 4 Abs. 1 des Tarifvertrags über Einmalzahlungen und Altersvorsorge vom 18.09.2001 in der Fassung vom 09.06.2008 (chemische Industrie), wonach der Anspruch auf die tarifliche Jahresleistung grundsätzlich voraussetzt, dass sich der Anspruchsberechtigte am 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres in ungekündigter Stellung befindet, ist rechtswirksam, insbesondere verfassungsgemäß.

2. Das gilt auch bei Anwendung dieser Tarifnorm in Verbindung mit einem firmenbezogenen Verbandstarifvertrag, durch den die Höhe der tariflichen Jahresleistung (an sich: 95 % eines tariflichen Monatsentgelts) von denselben Tarifvertragsparteien für eine bestimmte Firma flexibel gestaltet worden ist und infolgedessen abhängig von deren Umsatzrendite des Vorjahres auf bis zu 150 % eines tariflichen Monatsentgelts ansteigen kann.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1, § 622 Abs. 6; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1; BGB § 611a; TV-EA (chemische Industrie) § 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 25.04.2017; Aktenzeichen 25 Ca 179/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 03.07.2019; Aktenzeichen 10 AZR 300/18)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 25.04.2017 - 25 Ca 179/17 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf eine tarifliche Jahresleistung für das Jahr 2016.

Der 0000 geborene, verheiratete und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 01.04.2015 bei der Beklagten beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis lag der schriftliche Arbeitsvertrag vom 26.03.2015 zugrunde (Anlage K2, Bl. 5 ff. ArbG-Akte, künftig: ArbV).

Das Arbeitsverhältnis war zum 31.03.2017 befristet, endete jedoch aufgrund einer Eigenkündigung des Klägers mit Schreiben vom 10.11.2016 (Anlage B1, Bl. 38 ArbG-Akte) vorzeitig zum 31.12.2016. Dem Kläger war zuvor (vom Betriebsrat, inhaltlich zutreffend) mitgeteilt worden, dass das Arbeitsverhältnis nicht über den 31.03.2017 hinaus fortgesetzt werde. Die Eigenkündigung sprach er aus, um eine neue Stelle bei einem anderen Arbeitgeber antreten zu können. Das Arbeitsverhältnis konnte gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbV vor Ablauf der Befristung unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfristen gekündigt werden.

§ 14 Abs. 1 des Arbeitsvertrages lautet wie folgt:

"Soweit im Arbeitsvertrag nichts Abweichendes geregelt ist, unterliegt das Arbeitsverhältnis - auch aus Gründen der Gleichstellung der nicht tarifgebundenen mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern - den jeweils für das Unternehmen, den Betrieb oder Betriebsteil des Arbeitgebers anzuwendenden Tarifverträgen in ihrer jeweils gültigen Fassung, die der Arbeitgeber selbst abgeschlossen hat oder an die er kraft Mitgliedschaft in einem Verband gebunden ist. Zurzeit finden danach die im Tarifbezirk Baden-Württemberg geltenden Bundes- und regionalen Tarifverträge für die chemische Industrie Anwendung."

Der Kläger erhielt Tarifentgelt nach dem Bundesentgelttarifvertrag für die chemische Industrie gemäß einer Verweisung in § 2 ArbV. Sein Tarifgehalt betrug zuletzt 3.110,00 € brutto monatlich (vgl. Entgeltabrechnung November 2016, Anlage K1, Bl. 4 ArbG-Akte). Daneben hatte er gemäß § 3 Buchst. a ArbV ua. Anspruch auf eine "Jahresleistung in Höhe von derzeit 95 % eines tariflichen Monatsentgelts gemäß § 5 TEA".

Der zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie abgeschlossene Tarifvertrag über Einmalzahlungen und Altersvorsorge vom 18.09.2001 in der Fassung vom 09.06.2008 (künftig: TEA) enthält, soweit hier von Interesse, folgende Regelungen (vgl. Anlage B4, Bl. 69 ff. ArbG-Akte):

"§ 3

Arbeitnehmer und Auszubildende (Berechtigte) erhalten eine Jahresleistung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen.

§ 4

Der Anspruch auf Jahresleistung setzt voraus, dass sich der Anspruchsberechtigte am 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres in ungekündigter Stellung befindet; vom Arbeitgeber ausgesprochene betriebsbedingte Kündigungen oder vertragliche Befristungen aus betriebsbedingten Gründen berühren den Anspruch nicht, soweit das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12. besteht.

Arbeitnehmer, die nach dem 30. September des laufenden Kalenderjahres eingetreten sind oder vorbehaltlich der Bestimmungen in § 5 Ziffer 5 dieses Tarifvertrages vor Ablauf des 31.12. des laufenden Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, haben keinen Anspruch."

§ 5 TEA enthält ua. weitere Regelungen für das Eintritts- und Austrittsjahr und zu den Anspruchsvoraussetzungen, z.B. bei längerer Arbeitsunfähigkeit oder Elternzeit:

"§ 5

Die volle Jahresleistung beträgt 95% eines tariflichen Monatsentgelts (monatlicher Entgeltsatz gemäß dem jeweiligen bezirklichen Entgelttarifvertrag für di...

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