Entscheidungsstichwort (Thema)

Treuwidrige Geltendmachung der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen eines Scheinwerkvertragsverhältnisses. Arbeitnehmerklage zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses bei Eingliederung in den Betrieb der Entleiherin und Weisungsgebundenheit

 

Leitsatz (amtlich)

Eine als "Werkvertrag" bezeichnete Arbeitnehmerüberlassung kann im Einzelfall trotz Vorliegens einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis beim Verleiher zu einer Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher führen. Dies ist dann der Fall, wenn sowohl dem Verleiher als auch dem Entleiher positiv bekannt ist, dass der Arbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers eingegliedert werden soll und der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Entleihers unterliegen soll. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zugleich der Charakter der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Arbeitnehmer verschleiert wird. Die Berufung auf das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis stellt sich dann als ein treuwidriges widersprüchliches Verhalten dar. Dürfen sich Verleiher und Entleiher aber nicht auf die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers berufen, gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Entleiher als zustande gekommen gem. §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG.

 

Normenkette

AÜG § 1 Abs. 1, § 10 Abs. 1 S. 1, § 9 Nr. 1; BGB §§ 242, 611 Abs. 1, §§ 631, 645 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 08.04.2014; Aktenzeichen 16 Ca 8713/13)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 12.07.2016; Aktenzeichen 9 AZR 51/15)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 08.04.2014 (16 Ca 8713/13) abgeändert.

    Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien seit 20.05.2011 ein Arbeitsverhältnis besteht.

  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
  3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen seit 20.05.2011 ein Arbeitsverhältnis besteht, weil der Kläger seit diesem Zeitpunkt nur im Rahmen sogenannter "Scheinwerkverträge" an die Beklagte überlassen war.

Der am XXX 1979 geborene, ledige und gegenüber keinen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist Entwicklungsingenieur. Er wurde von der Beklagten, einem Tochterunternehmen der D. AG, seit 20.05.2011 als sogenannte "Fremdarbeitskraft" eingesetzt.

Für den Zeitraum 20.05.2011 bis 31.12.2012 hatte der Kläger einen Arbeitsvertrag mit der Firma E.D. GmbH (nachfolgend: E.) als Konstrukteur geschlossen. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 10.05.2011 (Anlage K1, Bl. 8-14 d. arbeitsgerichtl. Akte) lautete es auszugsweise:

"2. Aufgabenbereich

Der Arbeitnehmer wird als Konstrukteur für den Standort M. eingestellt.

.........

Das Arbeitsverhältnis bezieht sich auf eine Tätigkeit in M.. Der AG behält sich vor, den AN innerhalb des gesamten Unternehmens in Deutschland auch an einen anderen Ort zu versetzen.

10. Arbeitnehmerüberlassung

Die Firma E. GmbH ist im Besitz einer unbefristet gültigen Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, erteilt durch die Bundesagentur für Arbeit Regionaldirektion Baden-Württemberg, S. ab dem 17.02.09.

Im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung behält der AN sämtliche Ansprüche aus diesem Arbeitsvertrag. Die Bezugnahme auf den Tarifvertrag zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e.V. (BZA) und den Mitgliedsgewerkschaften des DGB in der jeweils gültigen Fassung wird vereinbart. Auf Verlangen bekommt der Arbeitnehmer den Tarifvertrag ausgehändigt.

Der AN wird darauf hingewiesen, dass er an verschiedenen Orten eingesetzt werden kann. Er ist damit einverstanden, dass er anderen Firmen zur Arbeitsleistung überlassen werden kann. Der räumliche Einsatzbereich wird dann eindeutig abgegrenzt und schriftlich mitgeteilt. Dem Leiharbeitnehmer wird ein Merkblatt für Leiharbeiter der Bundesagentur für Arbeit in der jeweiligen Muttersprache ausgehändigt."

Dieses Arbeitsverhältnis wurde begründet, nachdem sich der Kläger mit dem Vorgesetzten der Firma E., Herrn F., beim künftigen Vorgesetzten des Klägers bei der Beklagten, Herr U., vorgestellt hatte und von diesem als geeignet befunden wurde.

Für den Zeitraum 01.01.2013 bis 30.09.2013 war der Kläger vertraglich angestellt bei der Firma B. T. GmbH (nachfolgend: B.) auf der Grundlage eines schriftlichen unbefristeten Arbeitsvertrages vom 29.10.2012 (Bl. 15-25 d. arbeitsgerichtl. Akte). Darin hieß es auszugsweise:

"§ 1 Beginn des Anstellungsverhältnisses, Vertragsdauer

1. Der Arbeitnehmer wird ab 01.01.2013 als Konstruktionsingenieur Omnibus eingestellt.

2. Das Anstellungsverhältnis wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.

§ 2 Einsatzorte, Aufgabengebiet

1. Der Arbeitnehmer hat die vertragsgemäße Arbeit am Sitz des Arbeitgebers oder am Sitz des Auftraggebers des Arbeitgebers zu verrichten. Damit ist der Einsatz an verschiedenen Orten verbunden. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf einen bestimmten Einsatzort.

.........

5. Wird der Arbeitnehmer am Sitz des Auftraggebers des Arbeitgebers eingesetzt, er...

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