Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersetzung der Zustimmungsfiktion des § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG durch eine Zustimmungsverweigerungsfiktion durch Vereinbarung der Betriebsparteien

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Betriebsparteien können die Wochenfrist des §§ 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG im Einzelfall auch um mehrere Monate verlängern (hier: in einem Massenumgruppierungsverfahren um mehr als 6 Monate).

2. Die Betriebsparteien können die gesetzliche Zustimmungsfiktion des §§ 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG nicht durch das Gegenteil, eine Zustimmungsverweigerungsfiktion, ersetzen.

3. Zur Vereinbarung einer Zustimmungsverweigerungsfiktion und den Grundsatz des Vertrauensschutzes.

 

Normenkette

BetrVG § 99 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Beschluss vom 03.07.2007; Aktenzeichen 31 BV 277/06)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 18.08.2009; Aktenzeichen 1 ABR 49/08)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 03.07.2007 – Az.: 31 BV 277/06 – wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren gemäß § 99 Abs.4 BetrVG darüber, ob die vom Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Umgruppierung von den 26 im Antrag benannten und im Bodenbereich tätigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, wobei jeder dieser Beschäftigten eine Fallgruppe repräsentiert, zu ersetzen ist bzw. schon als erteilt gilt.

Die Antragstellerin/Beteiligte Ziff.1 (im Folgenden: Arbeitgeber) ist ein Luftfahrtunternehmen, der Antragsgegner/Beteiligte Ziff.2 ist der für den Standort S. gebildete Betriebsrat.

Für die im Bodenbereich arbeitenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (im Folgenden: Mitarbeiter) des Arbeitgebers vereinbarten die Tarifvertragsparteien, die Arbeitsrechtliche Vereinigung Hamburg e.V. (AVH) und die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di.) zum 01.12.2005 neue Tarifverträge zu Vergütungssystemen [Tarifvertrag Vergütungssystem Boden (TV VS Boden DLH) und Vergütungstarifvertrag Nr.1 für das Bodenpersonal der D. AG (VTV Nr.1 Boden DLH], die den bislang geltenden Vergütungsrahmentarifvertrag vom 01.04.1989 (VRTV) ablösten. Das neue Vergütungssystem unterscheidet sich von der bisherigen Systematik dadurch, dass es neue Vergütungstabellen mit neuen Vergütungsgruppen gibt, wobei diese nunmehr 10 Vergütungsgruppen (A – N 2) statt wie bisher 17 Vergütungsgruppen enthalten. Ferner wurden die bisherigen individuellen Stellenbeschreibungen durch zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarte Standardstellenbeschreibungen abgelöst (Tätigkeitprofile). Die bisherige Tätigkeit der Mitarbeiter änderte bzw. ändert sich durch die neue standardisierte Stellenbeschreibung nicht. Zur Überführung der Mitarbeiter von der alten in die neue Vergütungsstruktur nach dem TV VS Boden DLH trafen die Tarifpartner eine Vereinbarung vom 30.11.2005 nebst Ergänzung vom 25.04.2006, die Regelungen zur Überleitung enthält. Die Tarifpartner haben ferner die alten Positionen nach dem VRTV den neuen Tätigkeitsmerkmalen nach dem TV VS Boden DLH gegenübergestellt (sog. TKM-Liste). Schließlich fertigten die Tarifpartner eine Überleitungsliste, in der sie die einzelnen Beschäftigten namentlich überleiteten und auf die die Protokollnotiz Nr.3 zum TV VS Boden DLH hinweist.

Mit Schreiben vom 09.11.2005 unter Beifügung der darin genannten Anlagen bat der Arbeitgeber den Betriebsrat um Zustimmung zur Umgruppierung u.a. der im Antrag genannten Beschäftigten. Die namentliche Überleitungsliste wurde, wie im Schreiben angekündigt, kurz danach dem Betriebsrat übermittelt. Mit E-Mail vom 15.11.2005 bat der Betriebsrat den Arbeitgeber um Fristverlängerung bis zum 25.11.2005. Mit E-Mail vom 21.11.2005, die der Arbeitgeber u.a. an den Betriebsrat versandte, wies der Arbeitgeber auf eine Vereinbarung über eine Fristverlängerung gemäß § 99 BetrVG mit dem F. Betriebsrat hin und bot dem Betriebsrat ebenfalls „dieses Verfahren” an, wegen der geringeren Mitarbeiterzahl u.a. in S. eine Fristverlängerung bis zum 31.03.2006. Am 24.11.2005 teilte der Betriebsrat dem Arbeitgeber mit, dass man sich dem Verfahren in F. anschließe und man auf einen Entwurf einer entsprechenden Regelungsvereinbarung warte.

Am 06.12.2005 schlossen die Betriebsparteien sodann eine Regelungsvereinbarung (Anlage A 10, AS 140 f.) folgenden Inhalts:

Regelungsvereinbarung

Die D. AG, K.,

vertreten durch den Vorstand,

und der

Betriebsrat STR YX der D. AG, S., vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden,

schließen folgende Regelungsvereinbarung

Präambel

Aus Anlass der Umstellung des bisherigen Vergütungsrahmentarifvertrages für das Bodenpersonal der D. AG auf die Regelungen des Tarifvertrages Vergütungssystem Boden der D. AG sind alle Mitarbeiter der D. AG durch die Tarifpartner D. AG/ Arbeitsrechtliche Vereinigung Hamburg e. V. und ver.di. neu eingruppiert worden. Dem Betriebsrat sind entsprechende Listen mit der für jeden Mitarbeiter vorgesehenen Eingruppierung überreicht und damit das Verfahren nach § 99 BetrVG eingeleitet worden.

  1. Es besteht Einverneh...

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