Entscheidungsstichwort (Thema)

keine Befugnis des Vorsitzenden, im Verfahren über eine Beschwerde gegen eine Entscheidung der vollbesetzten Kammer ohne ehrenamtliche Richter über die Abhilfemöglichkeit zu befinden. Folge: Zurückverweisung des Verfahrens wegen eines nicht behebbaren Verfahrensmangels. Pflicht des Gerichts, vor Übergabe der nicht zu verkündenden Entscheidung an die Geschäftsstelle bis zu diesem Zeitpunkt eingehendes Vorbringen der Beteiligten zu berücksichtigen

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Nichtabhilfeentscheidung über die Beschwerde gegen eine Entscheidung über die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage muss durch die Kammer ergehen. Hat nur der Vorsitzende entschieden, ist die Sache an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

 

Normenkette

KSchG § 5; ArbGG § 68

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Beschluss vom 14.06.2002; Aktenzeichen 4 Ca 542/02)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14. Juni 2002 – Az.: 4 Ca 542/02 – aufgehoben.

2. Die Sache wird an das Arbeitsgericht Stuttgart zur Nachholung der Abhilfeentscheidung unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zurückverwiesen.

3. Kosten werden für diese Beschwerdeentscheidung nicht erhoben.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung des auf die nachträgliche Zulassung ihrer Kündigungsschutzklage gerichteten Antrags.

Die am 1. Oktober 1950 geborene, verheiratete Klägerin ist Mutter von zwei Söhnen im Alter von 21 und 16 Jahren. Sie steht seit dem 5. April 1977 als Montiererin in den Diensten der Beklagten. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt der Klägerin belief sich im Jahre 2001 auf 4.863,37 DM.

Die Beklagte schloss infolge eines beabsichtigten Restrukturierungsprogramms mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat am 13. Juli 2001 einen Interessenausgleich und einen Sozialplan ab. Dieses Restrukturierungsprogramm sollte sich auf den Montagebereich dahin auswirken, dass die bislang an 6 Bändern mit jeweils sieben Mitarbeitern durchgeführte Fertigung durch 3 von jeweils 2 Mitarbeitern zu bedienenden Automaten ersetzt werden sollte.

Der Klägerin war für die Zeit vom 19. November 2001 bis zum 4. Januar 2002 Urlaub gewährt worden. Sie kehrte am 28. Dezember 2001 von einer Reise zu ihrem schwerkranken Vater in der Türkei zurück.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. November 2001 zum 30. Juni 2002. Die der Klägerin gemäß dem abgeschlossenen Sozialplan zustehende Sozialabfindung wurde darin mit 76.518,74 DM beziffert. Das an die Wohnanschrift der Klägerin adressierte Kündigungsschreiben befand sich in einem Briefumschlag, auf welchem ein Stempelabdruck der Beklagten wiedergegeben war und auf welchem auf der Vorder- und der Rückseite das Wort Kündigung angegeben war. Das Kündigungsschreiben wurde am 4. Dezember 2001 per Boten zugestellt.

Mit der am 14. Januar 2002 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht und die nachträgliche Zulassung der Klage beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat die Klägerin vortragen lassen, sie habe nach ihrer Rückkehr nach Deutschland unverzüglich nach Hannover reisen müssen, wo einer ihrer Söhne wegen einer Infektionskrankheit in ein Krankenhaus eingeliefert worden sei. Der andere der beiden Söhne habe sich bereits bei seinem Bruder in Hannover aufgehalten. Dieser Sohn habe erst nach der Rückkehr aus Hannover nach Stuttgart am 4. Januar 2002 die zwischenzeitlich eingegangene Post – darunter auch das Kündigungsschreiben – übergeben. In Folge der Abwesenheit sei sie nicht in der Lage gewesen, die Kündigungsschutzklage fristgerecht zu erheben. Zur Glaubhaftmachung hat sich die Klägerin auf ihre eigene eidesstattliche Versicherung mit dem Inhalt ihres Vorbringens berufen.

Das Arbeitsgericht hat, nachdem es zuvor durch Verfügung vom 18. März 2002 die Parteien darauf hingewiesen hatte, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss der Kammer vom 11. April 2002 den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückgewiesen. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie nach ihrer Rückkehr (aus der Türkei) schuldlos außer Stande gewesen sei, Kenntnis von der eingegangenen Post zu nehmen. Auch sei nicht davon auszugehen, dass die Klägerin nach Kenntnisnahme vom Inhalt des Kündigungsschreibens schuldlos daran gehindert gewesen sei, während der verbleibenden Zeit der 2-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zu stellen. Es liege auf alle Fälle ein als unverschuldet anzusehender Grund, dass die Klägerin erst auf den 14. Januar ein Besprechungstermin bei ihrem Prozessbevollmächtigten vereinbart habe, nicht vor.

Gegen diese am 15. Mai 2002 zugestellte Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 27. Mai 2002 beim Arbeitsgericht eingereichten sofortigen Beschwerde. Die Beschwerde ist mit dem weit...

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