Gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 1 BGB braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, welcher der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte

  • durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist,
  • er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt hat oder
  • sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat.

Die Verpflichtung zum Unterhalt fällt gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

Die Verwirkung nach § 1611 BGB spielt beim Kindesunterhalt in der Praxis keine große Rolle. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass minderjährige Kinder ihren Unterhaltsanspruch nicht verwirken können gemäß § 1611 Abs. 2 BGB. Daher sind auch Verfehlungen in der Zeit der Minderjährigkeit für den Anspruch des volljährigen Kindes unbeachtlich. Allein entscheidend ist, wann der Verwirkungstatbestand eingetreten ist. Auf privilegierte Volljährige findet die Vorschrift des § 1611 Abs. 2 BGB keine Anwendung.[1]

Zum anderen ist wegen der tiefgreifenden Rechtsfolgen der Verwirkung die Annahme einer Anspruchsverwirkung nach allgemeiner Auffassung auch bei volljährigen Kindern auf besonders schwere Ausnahmefälle zu beschränken, zu deren Feststellung überdies eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene, umfassende Abwägung unter Einbeziehung der Umstände von Trennung und Scheidung der Kindeseltern und der sich hieraus ergebenden Eltern-Kind-Beziehung zu erfolgen hat.[2]

In folgenden Fällen hat die Rechtsprechung z. B. eine Verwirkung beim Kindesunterhalt angenommen:

  • Lebensführung des Kindes mit Inkaufnahme von Risiken auf Kosten der Eltern (ziellose Fortführung des Studiums, Arbeit ohne soziale Absicherung),[3]
  • Verschweigen der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit neben dem Studium,[4]
  • Verschweigen des Abbruches der Schulausbildung und weitere Entgegennahme von Unterhaltszahlungen,[5]
  • versuchter Prozessbetrug (hier, indem das Kind über längere Zeit gezahlte Berufsausbildungsbeihilfe des Arbeitsamtes nach AFG § 40 als eigenes Einkommen verschwiegen hat),[6]
  • bewusste falsche Strafanzeige gegen den Vater gestützt auf den Vorwurf der Nötigung im Straßenverkehr (Verwirkung des Unterhaltsanspruchs um 2/3),[7]
  • wiederholte, schwerwiegende Beleidigungen, die eine tief greifende Verachtung des Unterhaltsverpflichteten bzw. seines Ehegatten erkennen lassen.[8]

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