Ist die Rollenwahl in der neuen Beziehung nicht durch wirtschaftliche oder sonstige Gründe gerechtfertigt, ist dem Unterhaltspflichtigen ein fiktives Einkommen aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zuzurechnen. Der Unterhaltspflichtige muss sich so behandeln lassen, als ob er auch in der neuen Ehe einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachginge und mit den erzielbaren Einkünften allen gleichrangigen Unterhaltsberechtigten unter Wahrung seines Selbstbehalts unterhaltspflichtig wäre.[1]

Ist die Übernahme der Haushaltsführung und Kinderbetreuung des Unterhaltspflichtigen in der neuen Beziehung gerechtfertigt, stellt sich die Frage, in welchem Umfang er trotzdem zu Unterhaltsleistungen an die Berechtigten aus der früheren Ehe verpflichtet ist.

Der unterhaltspflichtige Ehegatte ist ungeachtet seiner Pflichten aus der neuen Ehe selbst dann, wenn die Rollenwahl in dieser Ehe nicht zu beanstanden ist, verpflichtet, erforderlichenfalls durch Aufnahme eines Nebenerwerbs zum Unterhalt von minderjährigen, unverheirateten Kindern aus der früheren Ehe beizutragen. Wegen des Gleichrangs aller Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder (§ 1609 Abs. 1 BGB) darf die mit der Rollenwahl verbundene Verminderung der Leistungsfähigkeit des geschiedenen Ehegatten nicht in unzumutbarer Weise zulasten der Kinder aus erster Ehe gehen. Unterhaltsrechtlich entlastet die häusliche Tätigkeit einen unterhaltspflichtigen Ehegatten nämlich nur gegenüber den Mitgliedern seiner neuen Familie, denen die Fürsorge – im Gegensatz zu den nicht im neuen Familienverbund lebenden minderjährigen Kindern aus erster Ehe – allein zugutekommt. Deswegen und wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber seinen minderjährigen Kindern (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB) hat der Unterhaltspflichtige seine Leistungsfähigkeit über die Hausmannrolle in zweiter Ehe hinaus in vollem Umfang auszuschöpfen und im Rahmen der individuellen Möglichkeiten eine Nebentätigkeit aufzunehmen.[2] Der neue Ehegatte hat die Erfüllung dieser Obliegenheit nach dem Rechtsgedanken des § 1356 Abs. 2 BGB zu ermöglichen, zumal bei der Aufgabenverteilung in der neuen Ehe die beiderseits bekannte Unterhaltslast gegenüber Kindern aus früheren Ehen berücksichtigt werden muss.[3] Denn der neue Ehegatte müsste es auch im Falle der Vollerwerbstätigkeit des unterhaltspflichtigen Ehegatten hinnehmen, dass die Einnahmen daraus nicht ganz zur Bestreitung des Familienunterhalts zur Verfügung stünden, sondern zum Teil zum Unterhalt der gleichrangigen Kinder aus der früheren Ehe verwendet werden müssten.

Das Einkommen aus einer Nebentätigkeit kann der Unterhaltspflichtige in vollem Umfang für den Unterhaltsanspruch der minderjährigen Kinder aus erster Ehe verwenden, wenn und soweit sein eigener Selbstbehalt durch seinen Anspruch auf Familienunterhalt in der neuen Ehe abgesichert ist. Nur wenn bei unterhaltsrechtlich hinzunehmender Rollenwahl der neue Ehegatte den Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen durch sein Einkommen nicht vollständig sicherstellen kann, darf der Unterhaltspflichtige seine Einkünfte aus der Nebentätigkeit zunächst zur Sicherung des eigenen notwendigen Selbstbehalts verwenden.[4] Der Umfang der Verpflichtung des betreuenden barunterhaltspflichtigen Ehegatten zur Aufnahme einer Nebentätigkeit hängt im Übrigen davon ab, in welchem Maße er nach den individuellen Verhältnissen in seiner zweiten Ehe zu einer solchen Tätigkeit in der Lage ist. Dabei sind neben dem Alter der von ihm betreuten Kinder auch die berufliche Inanspruchnahme seines neuen Ehegatten und sonstige Betreuungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Ist der neue Ehegatte beruflich derart belastet, dass er den barunterhaltspflichtigen Ehegatten nicht persönlich entlasten kann oder will, ist stets zu prüfen, ob der neue Ehegatte seiner Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die weiteren Unterhaltspflichten seines Ehegatten nicht auf andere Weise genügen kann. Das kann auch durch die Finanzierung einer Hilfe für die Haushaltsführung und Kindesbetreuung geschehen.

Bei der Bemessung der Unterhaltspflicht des barunterhaltspflichtigen Ehegatten gegenüber seinen minderjährigen Kindern kann auch auf dessen Taschengeld zurückgegriffen. Das Taschengeld ist Bestandteil des Familienunterhalts nach den §§ 1360, 1360 a BGB. Nach diesen Vorschriften sind Ehegatten einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten (§ 1360 Satz 1 BGB). Jeder der Ehegatten hat Anspruch auf einen angemessenen Teil des Gesamteinkommens als Taschengeld, d. h. auf einen Geldbetrag, der ihm die Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse nach eigenem Gutdünken und freier Wahl unabhängig von einer Mitsprache des anderen Ehegatten ermöglichen soll. Wie der gesamte Familienunterhalt hat deswegen auch das Taschengeld zunächst den Zweck, die notwendigen Bedürfnisse des Unterhaltspflichtigen, also seinen gegenüber den minderjährigen Klägern zu wahrendem notwendigem Selbstbehalt, sicherzustellen.[5]

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