Leitsatz (amtlich)

Der unmittelbare Besitz an einer versehentlich liegen gelassenen Sache wird nur dann aufgegeben, wenn eine Wiedererlangung der Sache ausgeschlossen oder zumindest deutlich erschwert ist. Das ist nicht der Fall, wenn der Besitzer jederzeit rekonstruieren kann, wo die Sache sich befindet und zumindest die Möglichkeit besteht, sie wieder an sich zu bringen.

Lässt der Geschäftsbesorger einen Gegenstand im Sachherrschaftsbereich des Eigentümers liegen, ohne dass er seinen unmittelbaren Besitz verliert, können unmittelbarer Besitz des Geschäftsbesorgers und derjenige des Eigentümers zusammen fallen. Beide sind dann Mitbesitzer.

Dem unmittelbaren Mitbesitzer sind auch sog. Haftungsschäden zu ersetzen. Hiervon umfasst sind Schäden, die dadurch entstehen, dass er Ansprüchen Dritter wegen des Verlusts der Sache ausgesetzt ist.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 13.12.2005; Aktenzeichen 19 O 467/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das am 13.12.2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 19 des LG Berlin - 19 O 467/04 - geändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 43.670 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21.10.2004 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien jeweils zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages nebst 10 % abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz i.H.v 87.340 EUR aus unerlaubter Handlung.

Am 19.9.2003 führte die Klägerin für die L. einen Geldtransport durch und befüllte u.a. einen Geldautomaten in der S. in B.-M. mit Geld, das sie von der L. erhalten hatte. Außerdem nahm sie Geld entgegen, dass in den Automaten von Kunden der S. filiale eingezahlt worden war. Über die eingezahlten und eingenommenen Beträge erstellte der Automat einen Beleg.

Die Klägerin setzte ihre Mitarbeiter M. S., A. K. und A. M. für den Transport ein. Die Zeugen S. und K. hielten sich zwischen ca. 20.44 und 21.06 Uhr im Vorraum der S. filiale auf. Sie ließen eine Geldtasche dort zurück. Der Zeuge M. vermerkte nach ihrer Rückkehr zum Fahrzeug die Rückgabe der Geldtasche, indem er die Angaben auf dem von den Kollegen mitgebrachten Lieferschein abschrieb, ohne sich aber darüber zu gewissern, dass die Tasche tatsächlich zurückgelangt war.

Gegen 22.55 Uhr betrat der Beklagte die Filiale, tätigte verschiedene Geldgeschäfte und verließ schließlich um etwa 22.58 Uhr die Bank mit der Geldtasche in der Hand. Weder die Tasche noch deren behaupteter Inhalt von 87.340 EUR fanden sich wieder.

Die Klägerin beglich den seitens der L. geltend gemachten Schaden i.H.v 87.340 EUR an diese. Die Versicherung der Klägerin trat für den Schaden nicht ein, weil der Selbstbehalt höher als der hier geltend gemachte Schaden ist.

Der Vorgang im Vorraum der Filiale wurde von Videokameras aufgezeichnet, die die Mitarbeiter der Klägerin nicht beeinflussen konnten. Der Tisch, auf dem sich die Geldtasche befand, wurde nicht gefilmt. Insoweit wird auf die Vermerke der Polizei vom 24.09., 25.09. und 1.10.2003 sowie auf die Übersichtsaufnahmen zur Position der einzelnen Kameras verwiesen, Bd. I, Bl. 60 ff., 115, 125 und 159 ff. der Akten der Staatsanwaltschaft Berlin - 94 Js 4334/03 -. Die in der Zeit zwischen ca. 21.06 und 22.59 Uhr getätigten Verfügungen am Geldautomaten wurden ebenfalls festgehalten. Auf den Inhalt des elektronischen Journals wird Bezug genommen, Bd. I, Bl. 11, 17; Bd. II, Bl. 23 f., 39 der Beiakten. Wie die Bestückung im sog. Cash Recycling System von der Klägerin organisiert wird und wie diese sich theoretisch abspielen sollte, ergibt sich aus den Seiten 2 bis 4 des klägerischen Schriftsatzes vom 29.4.2005, Bl. 80 ff. d.A.

Wieviel Geld die Tasche vor Bestückung des Geldautomaten enthielt, ob sie ursprünglich verplombt war und was in der Filiale im Einzelnen geschah, insb. ob das Geld sich noch in der Tasche befand, als der Beklagte die Filiale verließ und was er mit der Tasche anschließend gemacht hat, ist zwischen den Parteien streitig. Wegen der Stückelung des Geldes, dessen Gewicht, der Belege über Einzahlung und Entnahme sowie die Berechnung des Schadens wird auf S. 2 des klägerischen Schriftsatzes vom 10.12.2004, auf die Seiten 3 und 4 des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 29.4.2005 nebst der Anlagen K 4 bis 6, sowie auf das Schreiben des Polizeipräsidenten in Berlin an die Klägerin vom 8.10.2003 nebst handschriftlichem Eintrag verwiesen, Bl. 27, 81 f., 87 ff. d.A. sowie Bd. I, Bl. 184 f. der Beiakte) Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen und wegen des Ergebnisses der durch Beschluss vom 14.6.2005 angeordneten Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll des LG vom 4.10.2005, B...

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