Leitsatz (amtlich)

Zur Sicherung einer unruhigen Patientin muss der verwendete Rollstuhl technisch geeignet sein, also standfest und umstürzsicher.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 04.12.2001; Aktenzeichen 13 O 307/99)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 4.12.2001 verkündete Urteil der Zivilkammer 13 des LG Berlin geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 50.000 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 20.8.1999 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und weiteren immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 6.8.1998 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zzgl. 10 % abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zzgl. 10 % Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, das 50.000 EUR nicht unterschreiten sollte sowie die Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich sämtlicher materieller und weiterer immaterieller Schäden aus dem Unfallgeschehen am 6.8.1998 anlässlich einer stationären Behandlung wegen einer Hirnblutung. Hilfsweise verlangt sie in II. Instanz auch die Zahlung von 214.243,35 EUR sowie die Feststellung der Ersatzpflicht sämtlicher weiterer materieller und immaterieller Schäden.

Die Klägerin sollte am 6.8.1998 in die Rehabilitationsklinik K. verlegt werden. In der Nacht zuvor konnte sie nicht schlafen und war sehr unruhig. Ihr Bett wurde auf den Flur gefahren, weil sie immer wieder über das Gitter steigen wollte. Gegen 6.45 Uhr wurde sie vom Frühdienst wieder in ihr Zimmer gefahren und frisch gemacht. Da sie wieder unruhig wurde und über das Gitter steigen wollte, wurde sie angezogen, in einen Rollstuhl gesetzt und mit einem Bauchtuch angebunden. Der Rollstuhl mit der Klägerin wurde zwischen 7.05 Uhr und 7.15 Uhr vor die Stationskanzel der Station 46 gestellt. Die Klägerin saß in einem faltbaren Leichtgewichtsrollstuhl "Servomobil Standardrollstuhl" des Herstellers P. GmbH, der im Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenkassen unter Nr. 18.50.2002.200065 gelistet ist. Die Fußstützen waren heruntergeklappt, die Bremsen eingestellt und technische Mängel nicht erkennbar. Die Träger bzw. Standleiste der Fußstützen dienten als Kippschutz. Ein zusätzlicher Kippschutz war nicht vorhanden. Bei einem vom Klinikpersonal vorgenommenen Selbstversuch ist ein Kippen des Stuhles trotz raumgreifender und plötzlicher Bewegungen nicht gelungen. Gegen 7.45 Uhr wollte die Klägerin aufstehen und fiel mit dem Rollstuhl um.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens erster Instanz, der dort gestellten Anträge und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG hat durch am 4.12.2001 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die Klägerin macht mit der rechtzeitigen Berufung geltend, dass das LG rechtsfehlerhaft Wertungen des Sachverständigen hinsichtlich der Sorgfaltswidrigkeit ihrer Fixierung auf dem Rollstuhl übernommen habe, ohne selbst zu entscheiden, ob das Verhalten des Pflegepersonals eine vertragliche Pflichtverletzung oder unerlaubte Handlung darstelle. Auf Grund der Vorerkrankung und des Selbstgefährdungsrisikos hätte ihr eine Betreuungsperson zur Verfügung gestellt werden müssen. Personalmangel oder Organisationsschwierigkeiten könnten den Beklagten nicht entlasten. Auch der Sachverständige Prof. Dr. S. habe in seinem Gutachten vom 30.4.2001 festgestellt, dass die Sitzwache die geeignete Maßnahme gewesen sei. Seine weiteren Ausführungen, dass eine Sitzwache die Unfallgefahr höchstens reduziere, seien nicht nachvollziehbar.

Ein stundenlanges unbewegliches Sitzen auf dem Krankenhausflur vor dem leeren Schwesterndienstzimmer ohne Betreuungsperson bis zu ihrer Verlegung in die Reha-Klinik sei ihr jedenfalls nicht zumutbar gewesen. Auch sei ihr Ehemann am Morgen des Unfalltages nicht von der Notwendigkeit der Betreuung benachrichtigt worden; dieser hätte sich um sie gekümmert (unstreitig).

Das LG habe auch verkannt, dass der verwendete Faltrollstuhl nicht geeignet gewesen sei, eine unruhige Person darin gefahrlos zu fixieren, weil er bei Aufstehversuchen zum Kippen neige. Ein psychiatrischer Sachverständiger könne solche rein technischen Fragestellungen nicht klären.

Der Feststellungsantrag sei entgegen der Ansicht des LG zulässig, weil der Schaden noch nicht endgültig bezifferbar sei.

Hinsichtlich des bezifferten Hilfsantrages mache sie Kosten für die Reha-Maßnahmen, für häusliche Krankenpflege, Haushaltshi...

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