Leitsatz (amtlich)

Stürzt der Geschädigte an einer nicht winterdienstpflichtigen, nicht gestreuten schnee- und eisglatten Stelle (hier: Parkplatzzufahrt), kann eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Winterdienstpflichtigen darin liegen, dass er seiner in der Umgebung der Stelle bestehenden Winterdienstpflicht (hier: auf einem öffentlichen Parkplatz und angrenzenden Gehwegen) nicht nachgekommen ist. In einem solchen Fall kommen dem Geschädigten trotz feststehender Verkehrssicherungspflichtverletzung die Grundsätze des Anscheinsbeweises nur dann zugute, wenn von einem dafür erforderlichen typischen Geschehensablauf auszugehen ist (Bestätigung von und Abgrenzung zu KG, Urteil vom 2.6.2015 - 7 U 102/15 -, juris Rn. 16 f.).

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 10.09.2014; Aktenzeichen 86 O 84/14)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Berlin vom 10.9.2014 - 86 O 84/14 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil des Senats sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Ein Arbeitnehmer des Klägers war von seinem Kollegen auf einer schnee- und eisglatten Parkplatzzufahrt abgesetzt worden und dort ausgerutscht. Zu dem Winterdienst auf dem insgesamt schnee- und eisglatten öffentlichen Parkplatz und den ebenso glatten und ungestreuten angrenzenden Gehwegen war die Beklagte zu 1) gesetzlich verpflichtet, wobei sie mit der Durchführung die vormalige Beklagte zu 2) beauftragt hatte. Mit ihrer Klage hat die Klägerin im Regresswege die Aufwendungen für Lohnfortzahlungen an ihren aufgrund des Sturzes mehrere Wochen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer geltend gemacht.

Das LG hat die Klage abgewiesen, weil den Arbeitnehmer an dem Sturz ein ganz überwiegendes Mitverschulden getroffen habe.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger die Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) weiter.

Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 313a Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das LG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stehen die im Regresswege geltend gemachten Ansprüche ihres Arbeitnehmers gegen die Beklagte zu 1) aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG als einziger in Betracht kommender Anspruchsgrundlage nicht zu.

1. Entgegen der Ansicht des LG scheiden Ansprüche aber nicht etwa bereits deswegen aus, weil den Arbeitnehmer der Klägerin ein überwiegendes Mitverschulden daran getroffen hätte, dass er auf dem von den Beklagten nicht gestreuten schnee- und eisglatten Boden ausgerutscht ist. Wie der Bundesgerichtshof in einer neueren Entscheidung noch einmal deutlich gemacht hat (BGH, Urteil vom 20.6.2013 - III ZR 326/12 -, juris Rn. 18 ff.), lassen sich Amtshaftungsansprüche, die sich aus Verkehrspflichtverletzungen der öffentlichen Hand herleiten, in aller Regel im Hinblick auf den mit der Verkehrssicherungspflichtverletzung gesetzten maßgeblichen Verursachungsbeitrag nicht unter Hinweis auf ein Mitverschulden des Geschädigten verneinen. So liegt es auch hier schon deswegen, weil der Arbeitnehmer des Klägers überhaupt keine Möglichkeit hatte, sicher zu dem Eingang seines Wohnhauses zu gelangen, da die von der Beklagten 1) mit der Schnee- und Eisbeseitigung beauftragte vormalige Beklagte zu 2) nirgendwo gestreut hatte und es überall schnee- und eisglatt war.

2. Die Haftung der Beklagten zu 1) scheitert entgegen ihrer Ansicht auch nicht etwa daran, dass sie keine gegenüber dem Arbeitnehmer des Klägers bestehenden Verkehrssicherungspflichten verletzt hätte und es schon an einer den Amtshaftungsanspruch aus den § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG begründenden Amtspflichtverletzung fehlen würde. Die Beklagte zu 1) traf gemäß den §§ 4 Abs. 1 Satz 4, 1 Abs. 1 und 4 StrReinG Berlin die Winterdienstpflicht für den Parkplatz, auf dessen Zufahrt der Arbeitnehmer des Klägers ausgerutscht war. Wenn auch genau an der Stelle, an der Arbeitnehmer des Klägers von seinem Kollegen abgesetzt worden war und der er ausgeglitten ist, keine Verpflichtung zum Streuen bestand, so dass es insoweit an einer Pflichtverletzung des Klägers fehlt, war die Beklagte zu 1) doch verpflichtet, auf dem Parkplatz gestreute Pfade anzulegen, die ein gefahrloses Betreten und Verlassen des Parkplatzes erlaubt hätten (vgl. BGH, Urteil vom 22.11.1965 - III ZR 32/65 -, juris Rn. 36 f.), und auch auf den an den Parkplatz angrenzenden Fußwegen zu streuen (ähnlich der von dem 7. Zivilsenat des Kammergerichts zu beurteilende Fall, Urteil vom 2.6.2015 - 7 U 102/14 -, juris Rn. 16). Dem sind das der Beklagten u 1) mit der Schnee- und Eisbeseitigung beauftragte Unternehmen, die ehemalige Beklagte zu 2), bzw. dessen Mitarbeiter nicht nachgekommen, wobei die Beklagte zu 1) sich das Fehlverhalten des als ihr Verwaltungshelfer einzuordnenden Unternehmens bei der Ausführung des Winterdienstes zurechnen lassen muss (vgl. BGH, Urteil vom 9.10.2014 - III ZR...

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