Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 21.12.2011; Aktenzeichen (508) 5 Ju Js 33/08 KLs (43/08))

 

Tenor

Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 2011 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Das Landgericht Berlin hat den Beschwerdeführer am 27. Oktober 2008 wegen schweren Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in fünf Fällen, Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in drei Fällen, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in elf Fällen, sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in 32 Fällen, davon in 27 Fällen in Tateinheit mit Verbreitung pornographischer Schriften, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Das Urteil ist seit dem 22. April 2009 rechtskräftig. Am 22. November 2011 hat der Angeklagte, dem durch Beschluss vom 23. Juni 2008 Rechtsanwältin S. zur Pflichtverteidigerin bestellt worden ist, beantragt, ihm zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens Rechtsanwältin J. beizuordnen. Diesen An- trag, dem Rechtsanwältin S. mit Schriftsatz vom 11. Januar 2012 beigetreten ist, hat das Landgericht Berlin mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Verurteilten ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO), aber nicht begründet.

1. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat dazu ausgeführt:

"Die Bestellung eines Verteidigers nach § 364a StPO kommt, da die Bestellung bzw. Pflichtverteidigerbestellung im Erkenntnisverfahren bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens nach § 370 Abs. 2 StPO fortdauert, nur dann in Betracht, wenn zuvor kein Verteidiger mitgewirkt hat oder dessen Vollmacht erloschen oder die Beiordnung als Pflichtverteidiger aufgehoben worden ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 29. November 1995 - 4 Ws 227/95 -, 12. September 2000 - 4 Ws 153/00 - und 4. Mai 2005 - 4 Ws 23/05 -).

So liegt der Fall hier nicht. Der Verurteilte hat bereits eine Pflichtverteidigerin. Ihm ist im Erkenntnisverfahren durch Beschluss vom 23. Juni 2008 Rechtsanwältin S., als Pflichtverteidigerin beigeordnet worden. Deren Beiordnung ist bisher nicht aufgehoben worden. Gründe, die ausnahmsweise eine Rücknahme der Beiordnung der bisherigen Pflichtverteidigerin rechtfertigen würden, liegen nicht vor.

Zwar ist anerkannt, dass über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist. Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet. Die Entpflichtung eines Pflichtverteidigers kommt nicht allein deshalb in Betracht, weil der Angeklagte dies wünscht, sondern nur dann, wenn dieser glaubhaft macht oder sonst ersichtlich ist, dass hierfür ein wichtiger Grund besteht, insbesondere wenn das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Verteidiger ohne Verschulden des Mandanten ernsthaft gestört ist. Dabei reicht der bloße Hinweis auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis nicht aus, einen Verteidigerwechsel zu rechtfertigen. Denn der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt. Voraussetzung dafür ist vielmehr, dass der Angeklagte konkrete Umstände darlegt und gegebenenfalls nachweist, die bei der gebotenen objektiven Betrachtung aus Sicht eines verständigen Angeklagten eine Erschütterung seines Vertrauens zu dem bestellten Pflichtverteidiger nahe legen und deshalb besorgen lassen, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann (KG, Beschlüsse vom 12. März 2008 - 2 Ws 104 - 106/08 und 3. November 2010 - 2 Ws 596/10).

Vorliegend trägt der Verurteilte keine Gründe vor, die eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses zu Rechtsanwältin S. belegen.

Die Behauptung des Verurteilten, Rechtsanwältin S. habe ihm wichtige Aktenbestandteile vorenthalten, ist durch keine Tatsachen belegt. Der Verurteilte teilt schon nicht mit, welche wichtigen Aktenbestandteile ihm konkret vorenthalten worden sein sollen. Stattdessen trägt er summarisch vor, Rechtsanwältin S. habe ihm lediglich drei Bände Akten zur Kenntnis gegeben, während er erfahren habe, dass in seinem Verfahren zwanzig Aktenbände existierten.

Der von dem Verurteilten weiter erhobene Vorwurf, er habe seine hohe Haftstrafe seiner Pflichtverteidigerin zu verdanken, zeugt eher von einer fehlenden Auseinandersetzung des Verurteilten mit seinen Taten und den ihnen zugrunde liegenden Ursachen, als dass er als Beleg für eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Verurteilten und seiner Pflichtverteidigerin vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten dienen kann.

Auch die Behauptung des Verurteilten, dass seine Pflichtverteidigerin für ihr weiteres Tätigwerden eine Anzahlung von ...

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