Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 03.01.2012; Aktenzeichen (509) 14 Js 5937/10 KLs (67/11))

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer 9 des Landgerichts Berlin vom 3. Januar 2012 aufgehoben.

2. Die Beiordnung von Rechtsanwalt wird aufgehoben.

3. Der Angeklagten wird Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

 

Gründe

I. 1. Gegen die Angeklagte, eine Polizeimeisterin zur Anstellung, ist das Hauptverfahren vor dem Landgericht Berlin - Jugendkammer - anhängig. Die gegen vier weitere Angeklagte gerichtete Anklageschrift vom 21. Oktober 2011 wirft ihr banden- und gewerbsmäßigen Betrug sowie Urkundenfälschung in zahlreichen Fällen vor, die sie in der Zeit von November 2006 bis März 2011 begangen haben soll. Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe, die falsche Abrechnungen gegenüber der Beihilfestelle des Landes Berlin zum Gegenstand haben, nimmt der Senat auf die Anklageschrift vom 21. Oktober 2011 Bezug. Die Durchführung der Hauptverhandlung ist für den 23. und 27. Februar 2012 vorgesehen.

Nach ihrer Festnahme am 27. April 2011 war die Angeklagte in ihrer polizeilichen Vernehmung teilgeständig, und in der folgenden richterlichen Vernehmung am 28. April hat sie diese Angaben pauschal wiederholt. Nachdem die Angeklagte ausweislich des Protokolls über die Vorführung vor den Haftrichter die Beiordnung eines Verteidigers "in das Ermessen des Gerichts" gestellt hatte, wurde der vom Gericht ausgewählte Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt. Dieser nahm Akteneinsicht und äußerte sich in einem Schriftsatz vom 5. Mai 2011 für die Angeklagte in der Sache und zum Haftgrund. Seit dem 22. Juli 2011 ist die Angeklagte vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont.

In einem Termin am 23. November 2011 nahm die Jugendkammer in Anwesenheit des Verteidigers eine "Anhörung" der Angeklagten vor, in der diese Angaben zur Sache machte, die die Kammer als teilgeständig würdigte, sodass eine Verfahrensabtrennung und gesonderte Entscheidung der Sache gegen die Beschwerdeführerin erfolgen könne. Am 1. Dezember 2011 führte die Kammer mit den Verteidigern aller Angeklagten und dem zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft sodann ein Vorgespräch. Dieses diente zum einen der Klärung der Frage, wie die Mitangeklagten sich einlassen würden; zum anderen legte die Kammer dar, dass eine gemeinsame Verhandlung auch gegen die weiteren, nach allgemeinem Strafrecht zu behandelnden Angeklagten nur dann in Betracht komme, wenn diese sich ebenfalls (teil-) geständig zeigten, und welche Strafen aus ihrer Sicht für diesen Fall in Betracht kämen.

2. a) Mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 an das Landgericht legte die Beschwerdeführerin den folgenden Sachverhalt dar:

Sie habe sich schon bei Gesprächen in der Untersuchungshaft von ihrem Verteidiger unter Druck gesetzt gefühlt, da dieser sie öfter darauf angesprochen habe, dass er "eine Menge Arbeit mit dem Ermittlungsverfahren" habe und - unabhängig von seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger - "dafür natürlich auch Geld sehen" wolle, ohne aber konkrete Summen zu nennen. Nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft habe sie sodann erfahren, dass der Verteidiger bereits kurz nach ihrer Festnahme auch ihrem (damals im Ausland befindlichen, später ebenfalls inhaftierten) Vater gegenüber erklärt habe, dass er "nicht umsonst arbeitet" und ca. 10.000 Euro Honorar verlange. Ihre Mutter und ihr Onkel hätten den Anwalt daraufhin in dessen Kanzlei aufgesucht, wo der Rechtsanwalt diese Aussage sinngemäß wiederholt und einen Betrag von 8.000 Euro gefordert habe. Darauf habe ihr Onkel entgegnet, die Angeklagte könne keine Honorarvereinbarung unterschreiben; aber sobald man Geld übrig habe, werde man etwas überweisen, damit die Beschwerdeführerin "gut verteidigt" werde. Nach ihrer Entlassung habe sie ihrerseits dem Rechtsanwalt mitgeteilt, dass sie - auch nur, solange sie noch nicht aus dem Polizeidienst entlassen sei und ihre Bezüge erhalte - allenfalls monatliche Raten in Höhe von ca. 300 bis 500 Euro zahlen könne. Den Vorschlag des Rechtsanwalts, das Geld von Verwandten zu besorgen, habe sie abgelehnt, da auch diese kein Geld hätten. Sie habe dem Anwalt nie zugesagt, eine schriftliche Honorarforderung über die von ihm geforderten 9.500 Euro zu unterschreiben.

In der Zeit von Mai 2011 bis November 2011 zahlten die Familie der Angeklagten und diese selbst in fünf Raten insgesamt 2.100 Euro an den Anwalt, um sich dessen "guter Verteidigung" zu versichern. Am 29. November 2011 kam es in der Kanzlei des Verteidigers zu einem Mandantengespräch, an dem auch der Freund der Angeklagten teilnahm. Die Angeklagte sollte im Anschluss daran eine vorbereitete schriftliche Honorarvereinbarung über ein Honorar in Höhe von 9.500 Euro für die anwaltliche Tätigkeit in der ersten Instanz zuzüglich einer Auslagenpauschale sowie Fotokopierkosten in Höhe von 5 Cent je Kopie unterzeichnen. Hierzu k...

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