Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage der ordnungsgemäßen Bezugnahme auf in den Akten befindliche und in Augenschein genommene Radarfotos.

2. Hat der Tatrichter die dem Betroffenen vorgeworfene Rotlichtzeit dem in Augenschein genommenen und nicht verlesenen Teil des Radarfotos entnommen, ist dies ausnahmsweise zulässig.

3. Der Tatrichter muss nicht ausdrücklich mitteilen, ob er das angewandte Messverfahren als standardisiert angesehen hat.

 

Normenkette

StPO § 267

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 07.05.2015; Aktenzeichen (429 OWi) 3032 Js-OWi 10773/14 (115/14))

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 7. Mai 2015 wird verworfen.

Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen eines fahrlässig begangenen Rotlichtverstoßes nach den §§ 37 Abs. 2 [Nr. 1 Satz 7], 49 [Abs. 3 Nr. 2] StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 200,00 € verurteilt, gemäß § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und nach § 25 Abs. 2a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Dem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:

"Am 17. Mai 2014 gegen 15.32 Uhr befuhr die Betroffene mit dem PKW, amtliches Kennzeichen: B-CM 8111, dessen Halter der Vater der Betroffenen, Muhammad Aslam, zu jener Zeit war, die Straße Hallesches Ufer/Schöneberger Straße Richtung Westen in 10963 Berlin. Als sie den genannten Kreuzungsbereich passierte, beachtete sie zumindest aus Unachtsamkeit nicht die dort vorhandene und für sie maßgebliche Lichtzeichenanlage mit der Folge, dass sie die Haltelinie überfuhr, als die Rotlichtphase bereits 1,5 Sekunden für sie andauerte".

Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

II.

1. Der Schuldspruch des fahrlässigen Rotlichtverstoßes ist nicht zu beanstanden. Nach den Urteilsfeststellungen überfuhr die Betroffene die überwachte Haltelinie, als die Lichtzeichenanlage bereits 1,5 Sekunden rotes Licht abstrahlte. Die Überzeugung des Gerichts fußt auf der Inaugenscheinnahme der in den Akten befindlichen Lichtbilder des Messgerätes (Bl. 2- 4R), auf die wegen der Einzelheiten gemäß §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen worden ist. Wegen der prozessordnungsgemäßen Bezugnahme der Fotos sind sie Teil des gesamten Urteils und nicht nur - wie der Rechtsmittelführer vorträgt - beschränkt auf die Feststellung der Fahrereigenschaft der Betroffenen geworden mit der Folge, dass das Rechtsbeschwerdegericht sie aus eigener Anschauung umfassend würdigen kann. Zwar ist die auf den Radarfotos eingeblendete Aufzeichnung (hier: Rotzeit 1,5 s) eine Urkunde (OLG Hamm, Beschluss vom 20. März 2012 - III - 3 RBs 438/11 - BeckRS 2012, 10837), die nicht verlesen worden ist, jedoch steht dieser Umstand den Feststellungen nicht entgegen. Denn eine solche Vorgehensweise ist ausnahmsweise zulässig, wenn sich - wie hier - der gedankliche Inhalt der Urkunde auf einen Blick erfassen lässt (Senat, Beschluss vom 19. Juni 2015 - 3 Ws (B) 224/15 -). Daher ist die Beweiswürdigung insoweit - entgegen der Auffassung des Verteidigers - auch nicht lückenhaft.

Bei dem hier verwendeten Rotlichtsystem PoliScan F1HP handelt es sich um ein sog. standardisiertes Messverfahren, also um ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Verlauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. BGH NZV 1998, 120).

Der Tatrichter hat die dafür erforderlichen Feststellungen getroffen, in dem er das verwendete Verfahren benannt hat.

Angaben zu dem ggf. in Abzug zu bringenden Toleranzwert waren entbehrlich, weil die auf den Fotos eingeblendete Rotlichtzeit direkt gemessen wurde, als die Betroffene über die Haltelinie und nicht erst, als sie über einen Sensor fuhr, der sich erst hinter der Haltelinie befindet (vgl. Löhle in Beck/Löhle/Kärger, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 10. Aufl., 2013, § 4 Rn. 91).

Entgegen der Auffassung des Verteidigers ist es auch nicht erforderlich, dass das Amtsgericht mitteilt, dass es von einem standardisierten Verfahren ausgegangen ist. Denn die Frage, ob ein Messverfahren als standardisiert anerkannt ist, wirkt sich im Ergebnis nur auf den vom Rechtsbeschwerdegericht anzuwendenden Prüfungsmaßstab aus, u.a. auf den Umfang der Beweiserhebung und der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen aus. Die ausdrückliche Erörterung der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Prüfungsmaßstabes im amtsgerichtlichen Urteil wäre überflüssig (Senat, Beschluss vom 2. September 2015 - 3 Ws (B) 447/15 -).

Zu Unrecht vermisst der Rechtmittelführer eine Mitteilung des Tatrichters, dass er sich grundsätzlich möglicher Fehler des Messverfahrens bewusst gewesen sei. Von der Zuverlässigkeit der Messung muss er sich nur dann ausdrücklich überzeugen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für Messfehler oder für eine nicht ordnungsgemäß...

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