Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafzumessungsgrund des drohenden Bewährungswiderrufs bei bewusstem Bewährungsbruch

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1. Bezeichnung eines Polizeibeamten als "Opfer" als tatbestandsrelevante Kundgabe der Miss- und Nichtachtung.

2. Mindestanforderungen an die Feststellungen zu zulasten des Angeklagten berücksichtigten Vorstrafen im Rahmen der Strafzumessung.

3. Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob der drohende Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ein bestimmender Strafzumessungsgrund und daher zu erörtern ist. Ein (möglicher) Bewährungswiderruf als Folge eines bewussten Bewährungsbruchs durch den Täter ist regelmäßig nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen strafmildernd zu berücksichtigen.

4. Fahren ohne Fahrerlaubnis deutet als "typisches Verkehrsdelikt" und "verkehrsspezifische Anlasstat" auf eine fehlende charakterliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hin.

 

Normenkette

StGB §§ 46, 56, 56 f., §§ 69, 69a, 185; StPO § 267 Abs. 3, § 337 Abs. 1, § 349 Abs. 2, § 453 Abs. 1 S. 1, §§ 462a, 473

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 11.11.2021; Aktenzeichen (558) 272 Js 360/20 Ns (78/21))

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. November 2021 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 26. April 2021 wegen Beleidigung in drei Fällen sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, und eine zwölfmonatige Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet. Zu den vorgeworfenen Taten hat das Amtsgericht festgestellt: "Dem Angeklagten war [...] zuletzt noch vorgeworfen worden, am 24.09., 25.09., 02.11. und 11.11.2020 drei Vergehen der Beleidigung sowie eines des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis begangen zu haben." Als Einzelstrafen hat das Amtsgericht wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 24. September 2020 eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, wegen der Beleidigung vom 25. September 2020 eine Freiheitsstrafe von drei Monaten und wegen der Beleidigungen vom 2. bzw. 11. November 2020 eine Freiheitsstrafe von vier bzw. fünf Monaten verhängt.

Die gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten gerichtete Berufung hat die Staatsanwaltschaft Berlin vor der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Diese Beschränkung hat das Landgericht wegen unzureichender Feststellungen zum Schuldspruch jedoch als unwirksam angesehen. Die Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich der drei Fälle der Beleidigung jeweils eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 70,00 Euro und eine Verurteilung zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe erstrebt.

Das Landgericht Berlin hat mit Urteil vom 11. November 2021 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft - nachdem es Feststellungen zum Schuldspruch in eigener Verantwortung neu getroffen hat - das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass für die drei Fälle der Beleidigung jeweils eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 70,00 Euro festgesetzt worden und die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung entfallen ist.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er zuletzt ausschließlich die Verletzung materiellen Rechts rügt. Der Angeklagte macht geltend, dass die Bezeichnung als "Opfer" nicht den Tatbestand der Beleidigung erfülle, dass im Rahmen der Strafzumessung die Darstellung der Vorstrafen nicht den gesetzlichen Anforderungen genüge und der drohende Bewährungswiderruf in anderer Sache rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt worden sei und dass die Festsetzung der Geldstrafen und die Verurteilung zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe gegen das Übermaßverbot verstoßen würden.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 29. Dezember 2021 beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision ist nach Maßgabe von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Die auf die - zuletzt ausschließlich erhobene - Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

1. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch, insbesondere auch die Feststellungen zu der Tat vom 25. September 2020 im Hinblick auf den Schuldspruch der Beleidigung gemäß § 185 StGB.

Die Beleidigung setzt einen rechtswidrigen Angriff auf die Ehre einer anderen Person durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung voraus (BGHSt 1, 288).

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte am 25. September 2020 den Kontaktbereichsbeamten PK A im Rahmen der Ahndung einer Verkehrsordnungswidrigkeit als "Opfer", "Schwanzlutscher" und "Hurensohn" beschimpft habe (UA S. 4).

Soweit der Revisionsführer beanstandet, die von ihm getätigte Bezeichnung des Polizeibeamten als "Opfer" sei nicht als Beleidigung, sondern als bloße Meinungsäußerung zu werten...

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