Leitsatz (amtlich)

1. Der Beschuldigte kann nicht dadurch eine aus anderen Gründen nicht gebotene Auswechselung des Pflichtverteidigers erzwingen, dass sich für ihn ein Wahlverteidiger meldet, daraufhin die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückgenommen wird, der Wahlverteidiger sein Wahlmandat niederlegt und dann als Verteidiger des Vertrauens beigeordnet wird.

2. Die Behauptung einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses muss mit konkreten Tatsachen belegt werden. Ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 18.07.2017; Aktenzeichen (531 KLs) 277 Js 2545/17 (19/17))

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer 31 des Landgerichts Berlin vom 18. Juli 2017 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

I.

Gegen den Beschwerdeführer ist ein Strafverfahren vor der Strafkammer 31 anhängig. Über die Zulassung der am 27. Juni 2017 beim Landgericht eingegangenen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 26. Juni 2017 zur Hauptverhandlung und die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde noch nicht entschieden.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 3. Juni 2017 in dieser Sache in Untersuchungshaft. Nachdem ihm der Ermittlungsrichter Gelegenheit zur Benennung eines Verteidigers seines Vertrauens gegeben hatte, hat der Beschwerdeführer die Bestellung des Pflichtverteidigers in das Ermessen des Gerichts gestellt. Eine Bedenkzeit hatte er nicht erbeten. Ihm wurde daraufhin Rechtsanwalt W als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 6. Juni 2017 beantragte Rechtsanwalt W die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung. Nachdem er Akteneinsicht genommen hatte, besuchte er am 12. Juni 2017 den Beschwerdeführer in der Haft. Zum Termin der mündlichen Haftprüfung am 27. Juni 2017 erschien neben Rechtsanwalt W auch Rechtsanwalt L, der sich als Verteidiger zum Verfahren meldete und eine Vollmacht des Beschwerdeführers zur Akte reichte. Der Beschwerdeführer erklärte, er sei mit Rechtsanwalt W "nicht zufrieden". Dieser mache "seine Sache nicht so, wie er sollte". Er (der Beschwerdeführer) habe "tagelang" versucht, ihn anzurufen. Sie hätten "keinen Kontakt" gehabt. Rechtsanwalt W erklärte daraufhin, dass sein Büro stets besetzt sei und wies auf den Besuch vom 12. Juni 2017 hin. Der Beschwerdeführer und Rechtsanwalt L beantragten die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt W und die Beiordnung von Rechtsanwalt L als Pflichtverteidiger. Die zu diesem Zeitpunkt noch zuständige Ermittlungsrichterin (die Anklageschrift ging erst nach Beendigung des Haftprüfungstermins beim Landgericht ein) stellte die Entscheidung über die Anträge zurück.

Durch Beschluss vom 4. Juli 2017 lehnte der Vorsitzende der Strafkammer 31 den Antrag auf Bestellung von Rechtsanwalt L als Pflichtverteidiger ab. Vor der Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt W fragte er nach, ob Rechtsanwalt L die Verteidigung auch als Wahlverteidiger führen werde. Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2017 teilte Rechtsanwalt L zwar mit, den Beschwerdeführer weiter als Wahlverteidiger zu vertreten, erklärte jedoch im Rahmen eines Telefonats mit dem Strafkammervorsitzenden am 18. Juli 2017, er strebe wegen der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers die Beiordnung als Pflichtverteidiger an.

Rechtsanwalt W erklärte auf entsprechende Nachfrage, er sei mit der Aufhebung seiner Beiordnung nicht einverstanden.

Durch den angefochtenen Beschluss hat der Strafkammervorsitzende den Antrag auf Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt W zurückgewiesen. Obgleich der Beschwerdeführer ausdrücklich nur den Beschluss vom 18. Juli 2017 - nicht jedoch den vom 4. Juli 2017 - angefochten hat, begehrt er mit der Beschwerde neben der Aufhebung der Pflichtverteidigung von Rechtsanwalt W auch die Beiordnung von Rechtsanwalt L.

II.

1. Die Beschwerde des Angeschuldigten ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 305 Satz 1 StPO unstatthaft. § 305 Satz 1 StPO bezieht sich nur auf solche Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen und ausschließlich ihrer Vorbereitung dienen. Die Bestellung und Entpflichtung eines Verteidigers gehören hierzu nicht. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers reicht in ihrer prozessualen Wirkung über das Urteil hinaus und dient unabhängig von der Urteilsfällung der Sicherung des justizförmigen Verfahrens (vgl. Senat, Beschluss vom 2. September 2016 - 4 Ws 125/16 -, juris [insoweit in NStZ 2017, 305 nicht abgedruckt] m.w.N.; StV 2010, 63 m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 30. April 2007 - 2 Ws 229/07 -; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207 m.w.N.; Zabeck in KK, StPO 7. Auflage, § 305 Rnr. 8 m.w.N.). Der Angeschuldigte...

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