Leitsatz (amtlich)

1. Die auf § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB gestützte Prozessstandschaft eines Elternteils eines minderjährigen Kindes im Unterhaltsprozess gegen den anderen Elternteil setzt, wenn beiden Elternteilen die elterliche Sorge zusteht, voraus, dass sich das Kind in der Obhut dieses Elternteils befindet.

2. Für den Fall, dass sich die Eltern bei der Kindesbetreuung abwechseln, d.h. im Fall der beiderseitigen Betreuung, ist darauf abzustellen, bei welchem Elternteil das Schwergewicht der tatsächlichen Fürsorge liegt.

3. Es fehlt nicht nur bei einer hälftigen Teilung der Betreuungszeiten an dem Schwergewicht einer Betreuungsleistung im Sinne eines Lebensmittelpunktes des Kindes bei einem Elternteil, sondern auch dann, wenn die Eltern das Kind zu 2/3 bzw. 1/3 der Zeit betreuen. Das Übergewicht des Elternteils, das das Kind zu 2/3 betreut, ist so gering, dass die Möglichkeit einer eindeutigen Zuordnung des Kindes zu einem Elternteil als dem betreuenden entfällt.

 

Normenkette

BGB § 1629 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Aktenzeichen 144 F 12412/01)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 16.11.2001 teilweise abgeändert:

Der Beklagten wird Prozesskostenhilfe mit Wirkung ab 28.2.2002 unter Beiordnung von Rechtsanwältin D.E. bewilligt, soweit sie sich gegen die Klage verteidigt. Der weiter gehende Antrag wird zurückgewiesen.

Sie hat monatliche Raten von 75 Euro zu leisten.

Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren ist auf die Hälfte zu ermäßigen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die gem. § 127 Abs. 2 ZPO zulässige Beschwerde der Beklagten gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe durch das AG ist teilweise begründet. Die Verteidigung der Beklagten gegen die Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, da der Kläger zur Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs der Kinder nicht berechtigt ist.

Dabei kann offen bleiben, ob der Unterhaltsanspruch teilweise auf die Unterhaltsvorschusskasse übergegangen ist, die mit Schreiben vom 21.12.2000 eine Bewilligung von Leistungen an den Kläger in Aussicht gestellt hatte. Gemäß § 1629 Abs. 1 S. 2 BGB werden die Kinder von beiden Elternteilen gemeinsam vertreten. Auf die Sondervorschrift des § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB kann sich der Kläger nicht berufen.

Die auf diese Vorschrift gestützte Prozessstandschaft eines Elternteils setzt, wenn beiden Elternteilen die elterliche Sorge zusteht, voraus, dass sich das Kind in der Obhut dieses Elternteils befindet. Obhut bedeutet die tatsächliche Fürsorge eines Elternteils für das Kind, also die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse des Kindes durch Pflege, Verköstigung, aber auch insb. Gestaltung des Tagesablaufs, Erreichbarkeit bei Problemen und dem Bedarf nach emotionaler Zuwendung, während der andere Elternteil nur Betreuungs- und Regelungslücken schließt, er also Aufgaben wahrnimmt, wie sie auch bei ausschließlicher Wahrnehmung des Umgangsrechts erbracht werden (vgl. z.B. OLG Frankfurt v. 12.12.1991 – 1 UF 119/91, FamRZ 1992, 575; OLG Stuttgart v. 13.3.1995 – 8 W 74/95, NJW-RR 1996, 67).

Für den Fall der beiderseitigen Betreuung ist darauf abzustellen, bei welchem Elternteil das Schwergewicht der tatsächlichen Fürsorge liegt. Von einem solchen Schwergewicht kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Alltag des Kindes durch den zeitlichen Umfang oder auch die Art der Betreuungsleistungen des einen Elternteils so entscheidend geprägt wird, dass der Lebensmittelpunkt des Kindes bei diesem Elternteil ist (KG v. 27.2.1997 – 19 WF 8471/96, KGReport Berlin 1997, 190).

Wechseln sich die Eltern bei der Betreuung dergestalt ab, dass sich das Kind in regelmäßigen Abständen entweder bei dem einen oder bei dem anderen aufhält und übernimmt deshalb der jeweilige Elternteil während des Aufenthaltes des Kindes sämtliche zum normalen Alltag gehörenden Betreuungsleistungen, so fehlt es an dem erforderlichen Schwerpunkt. Dies liegt auf der Hand, wenn die Eltern die Betreuungszeiten hälftig teilen. Das gilt aber nach der st. Rspr. des Senats auch dann, wenn die Eltern die Kinder zu 2/3 bzw. 1/3 der Zeit betreuen. Das Übergewicht des Elternteils, der das Kind zu 2/3 betreut, ist so gering, dass die Möglichkeit einer eindeutigen Zuordnung des Kindes zu einem Elternteil als dem betreuenden entfällt (KG v. 27.2.1997 – 19 WF 8471/96, KGReport Berlin 1997, 190).

Hier werden die Kinder durchschnittlich zumindest zu einem Drittel durch die Beklagte betreut. Dabei handelt es sich nicht lediglich um ein großzügig gewährtes Umgangsrecht. Dagegen spricht bereits die Entwicklung der Betreuung seit der Trennung, die zunächst nahezu hälftig praktiziert wurde. Wie sich aus der unwidersprochen gebliebenen Aufstellung der Beklagten ergibt, hat sie auch in der jüngeren Zeit noch Betreuungsleistungen wahrgenommen, die über den Rahmen eines typischen Umgangs deutlich hinausgehen (Vorbereitung der Einschulung von P., Arztbesuche, Betreuung der Kinder während Krankheit). Der Umstand, dass die Betreuun...

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