Leitsatz (amtlich)

Im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens ist die Vorwegnahme der Würdigung einer Beweisaufnahme in begrenztem Umfang zulässig.

Für die erstmalige gerichtliche Vernehmung von Zeugen gilt dies regelmäßig nicht.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 22.05.2008; Aktenzeichen 17 O 51/08)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des LG Berlin vom 22.5.2008 - 17 O 51/08 - geändert:

Der Antragstellerin wird für die beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin wegen des Unfalls vom 25.6.2004, gegen 13.20 Uhr, Ganghoferstraße in 12043 Berlin, Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt O., beigeordnet.

Raten sind nicht zu entrichten.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin wurde am 25.6.2004 bei dem Versuch, die Ganghoferstraße zu überqueren, von einem bei der Antragsgegnerin versicherten Kraftfahrzeug erfasst und verletzt. Mit der Behauptung, der Unfall habe sich im Bereich des mit einer Lichtzeichenanlage versehenen Fußgängerüberweges ereignet, den sie bei für sie grünem Wechsellicht betreten habe, beabsichtigt die Antragstellerin, die Antragsgegnerin auf Ersatz der ihr entstandenen Schäden in Anspruch zu nehmen.

Zum Beweis für den von ihr behaupteten Hergang des Geschehens hat sie sich auf die Vernehmung von vier Zeugen berufen; die Antragsgegnerin hat gegenbeweislich zwei weitere Zeugen zum Unfallhergang benannt.

Mit Rücksicht auf die im Rahmen der Unfallermittlung durch die Polizei eingeholten schriftlichen Erklärungen sowie der im Rahmen des gegen den Fahrer des bei der Antragsgegnerin versicherten Fahrzeugs geführten Ermittlungsverfahrens von der Polizei protokollierten Anhörungen der wechselseitig benannten Zeugen hat das LG Berlin (Einzelrichter) den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe der Antragstellerin mit der Begründung zurückgewiesen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine Aussicht auf Erfolg.

Gegen diesen, ihr am 29.5.2008 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der am Montag, den 30.6.2008 eingegangenen sofortigen Beschwerde, der das LG nicht abgeholfen hat.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Die nach § 568 ZPO durch den Einzelrichter zu entscheidende sofortige Beschwerde ist nach § 567 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 127 Abs. 2, Sätze 2 und 3 ZPO zulässig. Sie hat in der Sache auch Erfolg.

Im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht einer beabsichtigten Rechtsverfolgung ist die Vorwegnahme der Würdigung der von den Parteien angebotenen Beweismittel in begrenztem Umfang erlaubt; ergibt die Gesamtwürdigung der feststehenden Umstände und der Indizien, dass eine Beweisaufnahme zwar in Betracht kommt, es aber in hohem Maße unwahrscheinlich erscheint, dass diese zum Vorteil des Anspruchstellenden ausgehen wird, so dass eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die die Kosten selbst bezahlen muss, wegen des absehbaren Misserfolges der Beweisaufnahme von der Prozessführung absehen würde, kann dem Antragsteller die erbetene Prozesskostenhilfe zu Recht versagt werden. Dies hat der Senat unter eingehender Würdigung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur wiederholt entschieden (Beschl. v. 7.10.2004 - 22 W 45/04 -, Beschl. v. 14.3.2005 - 22 W 69/04; Beschl. v. 8.12.2005 - 22 W 54/05, OLGReport KG 2006, 406; Beschl. v. 24.5.2006 - 22 W 30/06; Beschl. v. 29.11.2006 - 22 W 40/06 - jeweils mit Nachweisen).

Im Rahmen der Abhandlung des Problems der antizipierten Beweiswürdigung ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass in diesem Zusammenhang aber besondere Zurückhaltung dann geboten ist, wenn es um die erstmalige gerichtliche Vernehmung von Zeugen geht. Der Senat teilt die in der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - einhellig vertretene Auffassung, dass allenfalls in anderen Verfahren dokumentierte gerichtliche Vernehmungen Gegenstand einer vorweggenommenen Würdigung von Zeugenbeweisen sein dürfen (BGH, VersR 1987, 1187; OLG Köln, NJW-RR 2001, 791; OLG Hamm VersR 2002, 1233, 1234; Senat, OLGReport KG 2006, 406; sowie Beschl. v. 14.3.2005 - 22 W 69/04).

Maßgeblich für diese weiterhin gültige Einschätzung ist, dass der Beweiswert einer Zeugenaussage entscheidend von dem persönlichen Eindruck abhängt, den der Vernommene bei seiner Anhörung hinterlässt. Voraussetzung für die Gewinnung einer zuverlässigen Entscheidungsgrundlage ist die Wahrnehmung der Möglichkeit, dem Zeugen Fragen zu stellen, ihm von seinen Angaben abweichende Darstellungen vorzuhalten oder ihn zu Präzisierungen seiner Angaben zu bewegen. Ferner ist sein gesamtes Aussageverhalten von ausschlaggebender Bedeutung.

Aus diesen Gründen erachtet es der Senat hier nicht für zulässig, die Frage nach der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung auf der Grundlage der bislang vorliegenden Äußerungen der von den Parteien benannten Zeugen bei der Polizei zu entscheiden, insbesondere soweit sie sich nur schriftlich zur Sache geäußert haben.

Dieser Einschätzung steht nicht die Erkenntnis entgegen, dass das Erinnerungsver...

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