Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkender Verzicht eines privat krankenversicherten und beihilfeberechtigten Rentenbeziehers auf einen Beitragszuschuss zur Krankenversicherung wegen Herabsetzung des Beihilfesatzes. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Im Hinblick auf die grundlegende rechtliche Forderung nach einer möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte der Bürger (§ 2 Abs 2 Halbs 2, § 17 Abs 1 SGB 1) erstreckt sich die Beratungs- und Hinweispflicht gegebenenfalls auch auf Regelungen anderer Sozialrechtsbereiche. Eine prinzipielle Begrenzung dieser Verpflichtungen auf den Bereich des Sozialgesetzbuchs (auf das Sozialrecht in formellem Sinne) besteht nicht.
2. Die Rentenversicherungsträger sind jedenfalls zu Hinweisen über Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen des rentenversicherungsrechtlichen Verhältnisses zur Vermeidung erheblicher nachteiliger Auswirkungen auf Ansprüche des Versicherten außerhalb des SGB verpflichtet, wenn diese nachteiligen Auswirkungen dem Rentenversicherungsträger allgemein bekannt sind und dieser unschwer erkennen kann, dass der Versicherte hiervon betroffen sein wird.
3. Der Rentenversicherungsträger hat im Bewilligungsbescheid mit einem Zuschussbetrag zu den Aufwendungen der Krankenversicherung von mehr als 80,00 DM (41,00 Euro) gegenüber Versorgungsempfängern darauf hinzuweisen, dass dies gegebenenfalls zu einer Reduzierung des Beihilfesatzes von 70 % auf 50 % führen kann und ein Verzicht auf den 79,99 DM (40,99 Euro) übersteigenden Beitragszuschuss noch während der Rechtsmittelfrist möglich ist.
Orientierungssatz
Entgegen LSG Berlin vom 21.6.2000 - L 6 RA 104/99 KVDR = EzS 75/68 und LSG Berlin vom 12.12.2001 - L 6 RA 74/00.
Nachgehend
Tatbestand
Umstritten ist der Anspruch der Klägerin auf rückwirkende Begrenzung des Zuschusses zu den Aufwendungen ihrer Krankenversicherung auf monatlich 79,99 DM für die Zeit vom 1. April 1996 bis 30. November 1996.
Die 1920 geborene Klägerin bezieht seit 1. Dezember 1985 eine Regelaltersrente von der Landesversicherungsanstalt Hessen in Höhe von monatlich 791,26 DM im August 1996 und war bei dem Debeka Krankenversicherungsverein a.G. privat krankenversichert. Sie erlitt am 6. März 1996 einen Autounfall, bei dem ihr Ehemann, der bei der Beklagten versicherte B P, verstarb.
Am 14. März 1996 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Bewilligung einer Hinterbliebenenrente sowie eines Zuschusses zu den Aufwendungen für ihre Krankenversicherung. Dabei wurde ihr das Merkblatt über die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) ausgehändigt, in dem u.a. im Kapitel "Beispiele für einzelne Personengruppen" auf Seite 7 folgender Hinweis enthalten ist:
"Der Rentenantragsteller ist Beamter oder Versorgungsempfänger ... -- an freiwillige oder privat krankenversicherte Rentner wird auf Antrag vom Rentenversicherungsträger ein Zuschuss zur Krankenversicherung und ein Zuschuss zur Pflegeversicherung gezahlt (vgl. Abschnitt 3). In diesem Zusammenhang sollte jedoch beachtet werden, dass sich Auswirkungen auf den Beihilfeanspruch gegen den Dienstgeber oder den Träger der Versorgungsleistung ergeben können, wenn der Zuschuss zur Krankenversicherung bestimmte Grenzbeträge überschreitet. Trifft dies zu, kann auf den Zuschuss zur Krankenversicherung oder auf Teile des Zuschusses -- für die Zukunft -- verzichtet werden".
Auf Seite 8 finden sich ferner folgende Ausführungen:
"Es wird Hinterbliebenenrente beantragt:
-- Für den Rentenantragsteller können die bisherigen Ausführungen zu den einzelnen Beispielen zutreffen, je nach dem, ob er in einem Beschäftigungsverhältnis steht, Krankengeld bezieht, Beamter oder Versorgungsempfänger ist usw."
Eine weitergehende Beratung der Klägerin fand nicht statt. Mit Rentenbescheid vom 29. Juli 1996 bewilligte die Beklagte der Klägerin sodann eine große Witwenrente und gewährte ihr darüber hinaus unter Berücksichtigung des zu ihrer eigenen Versichertenrente zu gewährenden Zuschusses einen Gesamtbeitragszuschuss zu den Aufwendungen für ihre Krankenversicherung in Höhe von insgesamt 84,57 DM monatlich. Der Zuschuss wurde "im Hinblick auf den bestehenden Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge nach der Hälfte des maßgebenden Beitragssatzes" bemessen.
Die Klägerin hatte am 2. Mai 1996 sowie am 15. Juli 1996 Beihilfeanträge gestellt, nach eigenen Angaben mit einer Kostensumme von ca. 14.000,-- DM. Nachdem sie im Oktober 1996 von ihrer Beihilfestelle darauf hingewiesen worden war, dass der Zuschuss der Beklagten -- weil er mindestens 80,-- DM betrage -- sich nachteilig auf ihren Beihilfeanspruch auswirke und sich deshalb ihr Beihilfeanspruch um 20 % von 70 % auf 50 % reduziere, beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 7. November 1996 gegenüber der Beklagten, den Beitragszuschuss ab Rentenbeginn am 1. April 1996 auf monatlich 79,99 DM zu begrenzen.
Mit Änderungsbescheid vom 29. November 1996 reduzierte die Beklagte den Zuschuss für die Krankenversich...