Verfahrensgang

SG Darmstadt (Urteil vom 22.02.1994; Aktenzeichen S-3/U-1012/93)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 02.07.1996; Aktenzeichen 2 RU 34/95)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Februar 1994 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger streitet um die Anerkennung eines Ereignisses vom 5. November 1992 als Arbeitsunfall.

Der Kläger war Verkaufsleiter der … in Frankfurt am Main und wollte sich am 5. November 1992 in der ab 12.30 Uhr beginnenden Mittagspause zum Mittagessen in ein Café begeben, das im 2. Stock des Hessen-Centers in … gelegen ist. Nachdem er das Hessen-Center betreten hatte, rutschte er noch im Durchgangsflur des Erdgeschosses auf einem Salatblatt aus und verdrehte sich den rechten Unterschenkel. Der Durchgangsarzt Dr. … diagnostizierte eine Kniescheibenluxation, die er in Narkose reponierte (Bericht vom 6. November 1992). Ab 5. Januar 1993 war der Kläger wieder arbeitsfähig.

Mit Bescheid vom 27. April 1993 lehnte die Beklagte Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Ereignisses ab, da es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Der Aufenthalt im Hessen-Center sei unversichert. Der Kläger habe nur auf seinem Weg zur Einnahme des Essens in der Mittagspause gesetzlichen Unfallversicherungsschutz genossen, der geendet habe mit Durchschreiten der Außentür des Gebäudes, in dem sich das Lokal befinde. Auf den Widerspruch des Klägers vom 6. Mai 1993 hin zog die Beklagte Übersichtspläne des Hessen-Centers bei und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 1993 zurück.

Der Kläger erhob am 20. August 1993 vor dem Sozialgericht Darmstadt (SG) Klage, zu deren Begründung er vortrug, die Mittelgänge des Hessen-Centers seien Ladenpassagen oder Einkaufsstraßen vergleichbar, die wie diese Gänge gleichfalls öffentlich zugänglich seien. Da er das Café noch nicht betreten habe, habe er sich zum Unfallzeitpunkt noch auf einem derart der Öffentlichkeit zugänglichen Weg – einem Mittelgang des Centers – befunden und unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Das Hessen-Center beinhalte mehrere rechtlich selbständige Einzelgeschäfte, die lediglich unter einem Dach zusammengefaßt seien.

Die Beklagte hielt an ihrer Auffassung fest, das Hessen-Center stelle eine bauliche Einheit dar und der Unfallversicherungsschutz ende bzw. beginne an der Außentür dieses Gebäudes, welches für einen einheitlichen Gefahrenbereich stehe. Da die Mittelgänge teilweise auch von einzelnen Geschäften mitgenutzt würden, sei die Grenzziehung für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz mit Betreten des einzelnen Geschäftes verfehlt.

Mit Urteil vom 22. Februar 1994 hat das SG die entgegenstehenden Bescheide aufgehoben und festgestellt, daß der Kläger am 5. November 1992 im Hessen-Center einen Arbeitsunfall erlitten habe. Die Berufung hat es zugelassen. Die zulässige Feststellungsklage des Klägers hat es für begründet erachtet, da die Rechtssicherheit nicht gefährdet werde, wenn im Falle des Klägers als Grenzpunkt zur Bestimmung gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes an Stelle der Außentür des Hessen-Centers die Gaststättentür bestimmt werde. Das Hessen-Center sei kein „Gebäude” in dem von der Literatur und Rechtsprechung gemeinten Sinn. Es handele sich vielmehr um eine große Ladenpassage, deren Gehwege genauso dem öffentlichen Fußgängerverkehr dienten wie die benachbarten Straßen und Plätze. Das Hessen-Center sei nicht mit einem Warenhaus vergleichbar, in dem sich ein Erfrischungsraum befinde. Die in einem Einkaufscenter angelegten Wege und Nischen zum Verweilen ähnelten mehr öffentlichen Straßen, Plätzen und Wegen als den Gängen in einem Kaufhaus. Wer sich auf einem solchen Verbindungsweg aufhalte, habe auch nicht das Gefühl, in einem privaten Geschäft zu sein. Die Grenzziehung mit Durchschreiten der Restauranttür lasse sich genauso leicht praktizieren, wie das bei der Außentür des Einkaufscenters oder bei einer Gaststätte der Fall sei, die von der öffentlichen Straße aus betreten werde. Denn die im Hessen-Center befindlichen Gaststätten und Cafés hätten eigene Abschlüsse, die eine klare Abgrenzung zu den allgemeinen Verkehrsflächen ermöglichten. Auch wenn dort Freiflächen zur Bewirtung von den Gaststätten benutzt würden, sei nicht anders zu entscheiden. Denn auch diese freien Flächen seien nach dem glaubhaften Vortrag des Klägers durch Ballustraden oder ähnliche Einrichtungen von den Verkehrsflächen abgegrenzt. Derart bewirtschaftete Freiflächen vor Cafés und Restaurants seien im übrigen auch in den Straßen der Innenstädte üblich.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 17. März 1994 zugestellte Urteil am 8. April 1994 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und weiterhin die Auffassung vertreten, aus Gründen der Rechtssicherheit solle nur die Außenhaustür des Hessen-Centers als Grenze des Versicherungsschutzes anges...

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