Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Opferentschädigung durch vorsätzlich herbeigeführte Gefahrenlage

 

Orientierungssatz

1. Der Anspruch auf Opferentschädigung setzt den Tatbestand eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff voraus, der unmittelbar auf den Körper des Geschädigten gerichtet ist. Diesem ist in § 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG die Herbeiführung einer bestimmten Gefahrenlage gleichgestellt. Der Sache nach ist der letztgenannte Tatbestand nicht mit einem unmittelbaren tätlichen Angriff identisch.

2. Für eine vorsätzliche Beibringung von Gift i. S. des § 1 Abs. 2 Nr. 1 OEG ist die vorsätzliche rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB erforderlich. Das bloße Freisetzen von gesundheitsschädlichen Allergenen durch eine Vogelzuchthaltung erfüllt diesen Tatbestand nicht.

3. Solange keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Schädiger durch fortgesetzte Freisetzung von Allergenen durch die Vogelzuchtanlage die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung des Opfers zumindest billigend in Kauf genommen hat, scheidet auch ein Opferentschädigungsanspruch aus dem Tatbestand des § 330a Abs. 1 StGB - schwere Gefährdung durch Freisetzen von Gift - aus.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 14. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG -) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Mit Eingang bei dem Beklagten am 5. Juni 2003 beantragte die 1987 geborene Klägerin über ihre Mutter Versorgung nach dem OEG. Sie machte geltend, durch eine Vogelzuchtanlage mit großem Vogelbestand der Nachbarn A.C.K. eine chronische exogen-allergische Alveolitis, Wellensittichhalterlunge mit Fibrose der Lunge, Diffusionsstörungen, Emphysem mit Thoraxverformung, Rechtsherzbelastung sowie einen „Immunglobulinmangel durch EAA/WHL- Zuchtvogelallergene“ erlitten zu haben. Die Klägerin wies darauf hin, dass nach dem vor dem Verwaltungsgericht Gießen zwischen C.K. und dem L.-DF.Kreis am 19. Dezember 1989 geschlossenen Vergleich die Nachbarn die Vogelzuchthaltung bis 30. Juni 1990 hätten aufgeben und den Stall abreißen müssen. Jedenfalls stelle der dennoch erfolgte rechtswidrige Weiterbetrieb der Vogelzuchtanlage durch die Nachbarn einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 OEG dar.

Die Klägerin legte einen Bescheid des Versorgungsamtes GI. vom 15. Januar 2003 vor, mit dem auf den Antrag der Klägerin vom 3. Dezember 2002 bei ihr ein GdB von 50 unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen einer Lungenfibrose, exogen-allergischen Alveolitis und Wellensittichhalterlunge festgestellt worden war. Außerdem reichte die Klägerin diverse ärztliche Befundunterlagen, u. a. Laborbefunde, zu den Akten. Prof. Dr. ZJ., Dres. W. & S., Klinik für Innere Medizin - SP Pneumologie - der Uniklinik QC. hatten nach Vorstellung der Klägerin am 1. Juli 2002 im ärztlichen Bericht vom 17. Juli 2002 eine Lungengerüsterkrankung, möglicherweise im Sinne einer exogen-allergischen Alveolitis sowie einen Zustand nach Lungenentzündung 1993/1994 diagnostiziert. Die Lungenfunktionsprüfung hatte keine Restriktion und keine relevante Lungenüberblähung, jedoch eine leichtgradige Diffusionsstörung ergeben. Prof. Dr. S., Dres. K.-B. und R., Ambulanz der Kinderheilkunde der Uniklinik QC., hatten im Befundbericht vom 10. Juli 2002 aufgrund der Vorstellung der Klägerin am selben Tag eine exogen-allergische Alveolitis (Vogelzüchterlunge) diagnostiziert. Die ersten pulmonalen Symptome seien bereits 1989 aufgetreten. 1993 und 1994 sei es jeweils nach Zuchtvogelexposition zu einer pneumonischen Episode mit ausgeprägten radiologischen Veränderungen gekommen. Die Lungenfunktion habe damals eine Restriktion gezeigt. Es hätten hohe Antikörper-Titer gegen Wellensittich, Kanarienvögel und Papageien nachgewiesen werden können. Es sei ein für die Familie einschneidender Wohnungswechsel erfolgt. Derzeit leidet die Klägerin nach Kontakt zum Beispiel zu Daunenjacken unter Dyspnoe und Husten. Die körperliche Belastbarkeit sei deutlich eingeschränkt. Ferner reichte die Klägerin eine Fotokopie des vor dem Verwaltungsgericht Gießen (VG) zwischen C.K. und dem L.-DF.Kreis am 19. Dezember 1989 geschlossenen Vergleichs zu den Akten. Die Klägerin gab an, 1993/1994 sei eine Allergenkarenz durch einen Umgebungswechsel und Bezug der Zweitwohnung durchgeführt worden, im Jahr 1996 sei ein Teilabriss des Stalls unter Außerachtlassung der erforderlichen Hygienemaßnahmen erfolgt (Bl. 20 Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 16. Juni 2003 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Versorgung nach § 1 OEG ab. Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach dem OEG sei, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen t...

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