Revision

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsanspruch. Entstehen. Beitragshöhe. Arbeitsentgeltanspruch. tarifvertragliche Ausschlußfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, höhere Gesamtsozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten, wenn sich herausstellt, daß dem Arbeitnehmer rückwirkend ein höherer Lohnanspruch zustand. Diese Beiträge entstehen nicht erst bei Zahlung des Arbeitsentgelts, sondern bereits dann, wenn das Arbeitsentgelt als solches geschuldet wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es später noch gezahlt oder vom Arbeitnehmer gefordert worden ist.

2. Stellt ein Arbeitgeber auf Nachfrage eines Arbeitnehmers fest, daß über Jahre hinweg bei Berechnung des Arbeitsentgelts eine zu niedrige Dienstaltersstufe berücksichtigt wurde und wird der Lohn aufgrund einer tarifvertraglichen Ausschlußfrist allein für sechs Monate nachgezahlt, so bleibt der Arbeitgeber der Einzugsstelle ungeachtet dieser Ausschlußfrist verpflichtet, die auf den tatsächlichen Lohnanspruch entfallenden Beiträge nachzuentrichten. Dieser Anspruch wird allein durch die für Beitragsansprüche maßgebliche vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 SGB IV begrenzt.

3. Die Übertragung tarifvertraglicher Ausschlußfristen in das Beitragsrecht widerspräche dem Zweck der Sozialversicherung, weil es für die betreffenden Versicherten zu offensichtlich unbilligen Ergebnissen käme, wenn ein Arbeitgeber sich dadurch, daß er geschuldetes Arbeitsentgelt bei Fälligkeit nicht auszahlt, beitragsrechtliche Vorteile verschaffen könnte.

 

Normenkette

SGB IV §§ 22-23

 

Verfahrensgang

SG Gießen (Urteil vom 22.02.1991; Aktenzeichen S-9/Kr - 1035/89)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 30.08.1994; Aktenzeichen 12 RK 59/92)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. Februar 1991 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat der Beigeladenen zu 1. auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Im übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin aufgrund der Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. verpflichtet ist, an die Beklagte für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis 29. Februar 1988 über die gezahlten Gesamtsozialversicherungsbeiträge hinaus weitere Beiträge abzuführen.

Die Beigeladene zu 1. ist seit dem 1. März 1971 bei der Klägerin als Reinemache- und Garderobenfrau beschäftigt. Nachdem mit Arbeitsvertrag vom 1. März 1971 zunächst eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von durchschnittlich 20,5 Stunden und als Arbeitsentgelt hierfür ein Festgehalt von monatlich 360,00 DM vereinbart worden war, wurde der Arbeitsvertrag schließlich unter dem 1. April 1971 dahin geändert, daß die regelmäßige Wochenarbeitszeit ab dem 1. April 1971 nunmehr durchschnittlich 30,5 Stunden und das monatliche Festgehalt 588,00 DM betragen sollte. Darüber hinaus enthielten sowohl der Arbeitsvertrag vom 1. März 1971 als auch der geänderte Arbeitsvertrag vom 1. April 1971 folgende Regelungen:

㤠2

Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) vom 31. Januar 1962 und der Sondervereinbarung gemäß § 2 i) BMT-G für nicht vollbeschäftigte Arbeiter (Anlage 9 zum BMT-G) sowie den zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträgen in ihrer jeweils geltenden Fassung. Das gleiche gilt für die an ihre Stelle tretenden Tarifverträge. Daneben finden die für den Bereich des Arbeitgebers jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge Anwendung.

§ 4

Für die Bemessung der Dienstalterszulage gelten die Bestimmungen des jeweils in Kraft befindlichen Bundeslohntarifvertrages in Verbindung mit den zwischen dem Hessischen Arbeitgeberverband der Gemeinden und Kommunalverbände e.V. und der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr jeweils abgeschlossenen besonderen tarifvertraglichen Vereinbarungen.”

Ab dem 1. Februar 1977 erfolgte die Entlohnung der Beigeladenen zu 1. schließlich nicht mehr nach dem zwischenzeitlich erhöhten o.a. Festgehalt, sondern an die Stelle der Monatspauschale trat die Lohngruppe VI der Anlage 1 des Tarifvertrages über das Lohngruppenverhältnis zum Manteltarifvertrag für Arbeiter der Länder (HLT VI), ohne daß insoweit jedoch eine Änderung des schriftlichen Arbeitsvertrages erfolgte. Der Berechnung des Lohnes legte die Klägerin die Dienstaltersstufe 1 zugrunde. Die auf den Bruttoarbeitslohn entfallenden Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sind schließlich bis 31. Dezember 1985 an die Beigeladene zu 4. und ab dem 1. Januar 1986 an die Beklagte als jeweils zuständige Einzugsstelle gezahlt worden.

Nachdem die Beigeladene zu 1. im September 1988 um Überprüfung der der Berechnung ihres Arbeitslohnes zugrunde liegenden Dienstaltersstufe gebeten hatte, stellte die Klägerin fest, daß der Berechnung des der Beigeladenen zu 1. gezahlten Lohnes aufgrund des...

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