Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Jahresfrist für die Rücknahme eines Verwaltungsaktes. Tatsachenkenntnis

 

Orientierungssatz

Die Kenntnis iS des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10 hat sich sowohl auf die Tatsachen zu erstrecken, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes ergibt, als auch auf die, welche in § 45 Abs 2 S 3 oder Abs 3 S 2 SGB 10 vorausgesetzt werden. Daher kann die Jahresfrist regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen beginnen (vgl BSG vom 8.2.1996 - 13 RJ 35/94 = SozR 3-1300 § 45 Nr 27 = BSGE 77, 295 und vom 21.3.1990 - 7 RAr 112/88 = SozR 3-1300 § 45 Nr 2).

 

Verfahrensgang

SG Wiesbaden (Urteil vom 25.02.1997; Aktenzeichen S-5/Ar-122/96)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.07.2000; Aktenzeichen B 7 AL 88/99 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 25. Februar 1997 aufgehoben und die Klagen abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld und die damit verbundene Rückforderung von Leistungen.

Der im Jahre 1959 geborene Kläger war vom 1. Juli 1991 bis zum 30. Juli 1993 bei der Firma M Gebäudereinigung als Bereichsleiter tätig. Zum 1. Juli 1993 meldete er sich arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Nach der Arbeitsbescheinigung der Firma M hatte der Kläger in den beim Ausscheiden abgerechneten Lohnabrechnungszeiträumen der Monate April 1993 und Mai 1993 ein gleichbleibendes Bruttoarbeitsentgelt von 3.795,00 DM erzielt; im Juni 1993 betrug es nach einer Tariflohnänderung 3.860,00 DM. Die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit hatte 39 Wochenstunden betragen.

Mit Bescheid vom 16. Juli 1993 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 1. Juli 1993 in Höhe von 582,60 DM wöchentlich (Leistungsgruppe C, kein Kind, gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt 1.410,00 DM). Infolge der Absenkung der Leistungssätze aufgrund der Leistungsverordnung 1994 betrug der wöchentliche Leistungssatz des Klägers ab dem 1. Januar 1994 543,00 DM bei unveränderten Leistungsmerkmalen (Änderungsbescheid vom 14. Januar 1994). Diese Leistung bezog der Kläger noch bis zum 31. Januar 1994. Ab dem 1. Februar 1994 nahm er an einer Bildungsmaßnahme teil, wofür ihm die Beklagte mit Bescheid vom 12. April 1994 Unterhaltsgeld von 606,60 DM wöchentlich (Leistungsgruppe C, erhöhter Leistungssatz, gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt 1.410,00 DM) bewilligte. Infolge einer Dynamisierung des Bemessungsentgelts betrug die Leistung ab dem 1. Juli 1994 621,00 DM wöchentlich (Änderungsbescheid vom 15. Juli 1994).

Bei einer Aktenprüfung am 16. November 1994 stellte das Vorprüfungsamt der Beklagten fest, dass dem Kläger, der Vater eines ... 1992 geborenen Kindes ist, Leistungen von Beginn an nach dem erhöhten Leistungssatz zugestanden hätten, zugleich aber die Leistungshöhe fehlerhaft nach einem zu hohen Bemessungsentgelt festgesetzt worden war. Nach vorheriger Anhörung des Klägers nahm die Beklagte hierauf mit Bescheid vom 25. Juli 1995 die Entscheidungen über die Bewilligung von Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld mit Wirkung vom 1. Juli 1993 bzw. 1. Februar 1994 teilweise zurück und forderte von dem Kläger die Erstattung zuviel gezahlten Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 1. Juli 1993 bis zum 31. Januar 1994 in Höhe von 4.851,00 DM sowie Unterhaltsgeldes vom 1. Februar 1994 bis zum 17. November 1994 in Höhe von 8.277,90 DM. Das für die Leistung maßgebliche Bemessungsentgelt sei falsch festgesetzt worden. Zwar beruhe dies auf einem Bearbeitungsfehler des Arbeitsamtes, der Kläger habe aber nicht im guten Glauben sein können, dass die Höhe der Leistung richtig sei. Auf den Widerspruch des Klägers vom 15. August 1995 erläuterte die Beklagte dem Kläger hierzu, dass bei der Berechnung der Zahl der für die Arbeitslosengeldbemessung maßgeblichen Arbeitsstunden dem Arbeitsamt insofern ein Fehler unterlaufen sei, als es das Brutto-Arbeitsentgelt für die Monate April 1993 bis Juni 1993 in Höhe von 11.450,00 DM nur durch 305,33 Arbeitsstunden geteilt habe, obwohl die richtige Arbeitsstundenzahl 507 hätte lauten müssen (39 Stunden wöchentliche Arbeitszeit x 13 : 3 = 169 Stunden x 3 = 507 Stunden). Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 1995 wies die Beklagte den Widerspruch, soweit er sich gegen die teilweise Rücknahme der Arbeitslosengeld-Bewilligung richtete, zurück. Der Kläger habe in der Zeit vom 1. April 1993 bis zum 30. Juni 1993 (Bemessungszeitraum nach § 112 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz -- AFG -- in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung) ein Bruttoentgelt in Höhe von 11.450,00 DM entsprechend einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von monatlich 3.816,67 DM erzielt, was einem -- gerundeten -- wöchentlichen Arbeitsentgelt von 880,00 DM entspreche. Rechtmäßig zugestanden habe dem Kläger nach der Leistungsverordnung 1993 und der Leistungsgruppe C (entsprechend der ...

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