Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittel. Treppensteigehilfe. Behinderungsausgleich

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Scalamobil (Treppensteigehilfe) ist ein Hilfsmittel gemäß § 33 SGB 5.

2. Ein auf einen Rollstuhl angewiesener Versicherter, der ebenerdig wohnt, hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme für ein Scalamobil, wenn er maximal 4 Mal jährlich Ärzte aufsucht, deren Praxen nur über Treppenstufen zu erreichen sind. Er kann aus Gründen der Wirtschaftlichkeit auf die Inanspruchnahme eines Fahrdienstes verwiesen werden.

3. Der von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährende Behinderungsausgleich umfasst regelmäßig nicht den Besuch von Freunden, Verwandten und kirchlichen Veranstaltungen sowie das Aufsuchen von Keller, Garten und einer vermieteten Wohnung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.10.2010; Aktenzeichen B 3 KR 13/09 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 31. Oktober 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Kosten für die Beschaffung eines Scalamobils zu übernehmen hat.

Die 1952 geborene Klägerin leidet an Multipler Sklerose mit beinbetonter Tetraparese. Zur Fortbewegung ist sie auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Die C.-Klinik verordnete ihr am 5. Mai 2006 ein Scalamobil als Hilfsmittel. Den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Mai 2006 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2007 zurück. Die Treppensteighilfe sei nicht erforderlich. Die Klägerin sei bereits mit einem Rollstuhl versorgt und könne ihre ebenerdige Wohnung uneingeschränkt nutzen und auch verlassen. Die Treppensteighilfe diene nur dazu, unter Mithilfe der Pflegeperson Ärzte, Gottesdienste und Verwandte zu erreichen. Die individuellen Wohnverhältnisse der Klägerin seien nicht zu berücksichtigen. Für die soziale Eingliederung der Klägerin in ihr gesellschaftliches Umfeld sei die Krankenkasse nicht zuständig.

Hiergegen hat die Klägerin beim Sozialgericht Gießen am 5. Februar 2007 Klage erhoben. Sie könne ihre Ärzte nicht barrierefrei erreichen. Zu den elementaren Bedürfnissen des täglichen Lebens gehöre zudem auch die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte. Fast alle ihre Freunde und Bekannte hätten aber keinen ebenerdigen Zugang zu ihren Wohnungen. Ohne die Treppensteighilfe könne sie zudem keinen Gottesdienst besuchen und nicht in den Keller ihres Hauses oder in den Garten gelangen.

Mit Urteil vom 31. Oktober 2007 hat das Sozialgericht Gießen unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide die Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines Scalamobils verurteilt. Ein Hilfsmittel sei von der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im täglichen Leben beseitige oder mildere und damit ein Grundbedürfnis betreffe. Zu den Grundbedürfnissen gehöre auch das Bedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen. Hierfür benötige die Klägerin das Scalamobil, da sie bei allen Arztpraxen mehrere Treppen überwinden müsse. Es sei ihr auch nicht zumutbar, für die notwendigen Arztbesuche einen Fahrdienst zu bestellen und sich die Treppen hinauftragen zu lassen. Schließlich sei das Treppensteiggerät auch kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, da es allein von behinderten Menschen zur Überwindung von Treppenstufen benutzt werde.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 3. Januar 2008 zugestellte Urteil am 1. Februar 2008 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass die Versorgung mit einem Scalamobil nicht notwendig sei. Die Klägerin sei mit dem Rollstuhl bereits ausreichend versorgt. Das Grundbedürfnis, bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, werde regelmäßig durch die Erschließung des Nahbereichs erfüllt. Bei gehbehinderten Menschen geschehe dies im Regelfall durch einen Rollstuhl. Ein Ausgleich für die individuell gestalteten Wohn- und Lebensverhältnisse eines Versicherten sowie die Folgen der Ausübung des Rechts auf freie Arzt- und Therapeutenwahl werde von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht geschuldet. Im Übrigen habe das Sozialgericht verkannt, dass die Klägerin auch bei Nutzung der Treppensteighilfe einen Fahrdienst beauftragen müsse, der das Scalamobil auf- und abbaue und bei der Überwindung der Treppen bediene.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 31. Oktober 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie benötige das Scalamobil zum Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Bei Fahrten zu Ärzten werde sie von ihrer Tochter begleitet, die auch bereits in die Bedienung des Scalamobils eingewiesen worden sei. Wegen der zu überwindenden Treppen könne ihre Tochter sie ohne da...

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