Entscheidungsstichwort (Thema)

Überfall auf dem Wege zur Arbeitsstätte. Verteilung der Beweislast

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einem Überfall auf einem nach § 550 Abs. 1 RVO versicherten Weg trifft den Unfallversicherungsträger die objektive Beweislast dafür, daß die Tat auf einem nicht betriebsbezogenen Tatmotiv beruhte.

 

Normenkette

RVO § 550 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 21.10.1977; Aktenzeichen S 3/4/U-246/76)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 31.10.1978; Aktenzeichen 2 RU 40/78)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. Oktober 1977 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist die Ehefrau des am 7. Februar 1975 verstorbenen H. D. (D.). Sie begehrt von der Beklagten die Gewährung der Hinterbliebenenentschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der im Jahre 1927 geborene D. war bei der Firma A. AG in R. in der Entwicklungsabteilung als Werkmeister beschäftigt. Dort arbeitete er regelmäßig seit vielen Jahren in der Nachtschicht, die um 21.45 Uhr begann und um 5.45 Uhr endete. Um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen stellte er seinem Personenkraftwagen – Pkw – üblicherweise auf der Gelände einer F. Tankstelle der Firma N. in der K.straße in R. ab und ging von dort regelmäßig durch die K.straße zum Portal 15 der Firma O.; so auch am Abend des 29. Januar 1975 als zum letzten Mal in der Entwicklungsabteilung in Nachtschicht gearbeitet wurde. Auf diesem Wege, etwa in Höhe des Hauses Nr. 7 der K.straße, wurde D. von einer unbekannten, maskierten Person von hinten links angefallen und erlitt dabei schwere Stich- und Schnitt-Verletzungen mittels eines Messers in den Kopf, in den Nacken und die Schulter. Nach der Todesbescheinigung des Prof. Dr. H. (Universität M.) vom 7. Februar 1975 verstarb D. infolge dieser Verletzungen am gleichen Tage. Die Beklagte nahm Einsicht in die Ermittlungsakten der Kriminalpolizei in R. (Az.: 1. K. zK-Nr. 1075/75) und vermerkte dazu, daß das Vorleben von D. nicht ganz lupenrein gewesen sei. So habe er viele Frauenbekanntschaften gehabt und gegen Geld Skat sowie Poker gespielt. Mit Bescheid vom 14. Juli 1976 lehnte die Beklagte die Unfallentschädigung ab. Das Tatmotiv könne nicht festgestellt werden. Es sei jedoch nach den kriminalpolizeilichen Ermittlungen ein betrieblicher Beweggrund auszuschließen, da D. in der Firma O. ein beliebter Mitarbeiter gewesen sei. Angesichts seines Vorlebens sei es möglich, daß der Überfall aus Rache wegen persönlicher Beziehungen erfolgt sei. Das Nichtvorliegen solcher Beziehungen sei eine anspruchsbegründende Tatsache, deren Nichterweislichkeit zu Lasten der Klägerin gehe. Im übrigen könne nach ihren am Tatort getroffenen Feststellungen nicht angenommen werden, daß der Überfall durch besondere Verhältnisse bei der Zurücklegung des Weges zur Arbeit entscheidend begünstigt worden sei. Die K. straße sei auf beiden Seiten bewohnt, normal ausgeleuchtet, und werde auch von anderen Arbeitnehmern der Firma O. etwa zur gleichen Zeit benutzt.

Gegen diesen am 15. Juli 1976 gegen Einschreiben an sie abgesandten Bescheid hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main – SG – am 9. August 1976 Klage erhoben. Das SG hat die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt (14 Js 84/75) und die Auskunft der Firma O. vom 10. März 1977 über die Arbeitszeit des D. beigezogen sowie dessen Arbeitskollegen W. V. als Zeugen gehört. Sodann hat es die Beklagte verurteilt, der Klägerin die gesetzlichen Hinterbliebenenleistungen zu gewähren und zur Begründung ausgeführt: D. sei Opfer eines Überfalles auf einem versicherten Weg zur Arbeitsstätte geworden. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei nicht erwiesen, daß er aus Eifersucht, Haß oder Wut infolge von Frauenbekanntschaften, Glücksspiel oder anderer ähnlicher Anlasse überfallen worden sei. Es seien auch andere Möglichkeiten denkbar. So könne der Täter sich in der Person das Opfers geirrt oder D. überfallen haben, weil er von ihm bei einem versuchten Einbruch in ein dem Tatort nahegelegenes Getränkelager, in das nach Aussage des Zeugen V. schon häufiger eingebrochen worden sei, überrascht wurde. Eine dieser Möglichkeiten sei jedenfalls wahrscheinlicher als das Vorleben des D. da dieser nach der Tat gegenüber dem Dreher P. und dem Krankenwagenfahrer B. auf Befragen zur Person des Täters und zu dessen Motiven keine Verdachtsmomente geäußert habe.

Gegen dieses ihr am 22. November 1977 zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht am 30. November 1977 schriftlich Berufung eingelegt.

Es sind die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt 14 Js 84/75 sowie der Kriminalpolizei R. (1.K. zK-Nr. 1075/75) beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Außerdem ist der bei der Kriminalabteilung R. tätige Kriminalhauptmeister L., der die Ermittlungen wesentlich geführt hat und n...

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