Entscheidungsstichwort (Thema)

Besorgnis der Befangenheit. Gerichtsbescheid trotz besonderer Schwierigkeiten der Sache. knappe Fristsetzung für Stellungnahme. pflichtwidrige Verzögerung eines PKH-Antrages

 

Leitsatz (amtlich)

Aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten liegt bei vernünftiger Würdigung aller Gründe zu Recht die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem abgelehnten Richter vor, wenn dieser trotz umfangreicher Diskussion in der Fachöffentlichkeit eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ankündigt, eine knappe Frist von 2 Wochen zur Stellungnahme setzt, bevor überhaupt die Beklagte auf die Klage erwidert hat, nicht auf die Frage antwortet, ob drei konkret bezeichnete Gutachten dem Gericht vorlägen und sich abzeichnet, dass eine Entscheidung über den rechtzeitig gestellten PKH-Antrag pflichtwidrig verzögert wird.

 

Tenor

Das Ablehnungsgesuch des Klägers vom 5. September 2005 betreffend den Richter ... wegen Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt.

 

Tatbestand

Im zugrunde liegenden Verfahren (S 20 AS 267/05) begehrt der Antragsteller mit der am 28. Juli 2005 erhobenen Klage höhere Leistungen (monatlich € 412,- zuzüglich Miet- und Mietnebenkosten usw.) nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB 2) für die Zeit ab dem 1. Januar 2005, statt der ihm mit Beschluss der Beklagten vom 11. Februar 2005 (Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2005) bewilligten € 574,- (Regelleistung € 345,- zuzüglich Kosten für Unterkunft und Heizung € 229,-).

Mit dem Klageschriftsatz hatte der Antragsteller auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt und auf Stellungnahmen Dritter hingewiesen, die er in seinem Widerspruch erwähnt habe, die der Beklagten vorlägen, die sie dem Gericht zur Verfügung stellen werde, sofern sie dem Gericht noch nicht vorlägen. Am 16. August 2005 hat der Antragsteller die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (nebst weiterer Unterlagen) nachgereicht.

Mit Schreiben vom 16. August 2005 (bei dem Sozialgericht an diesem Tag zugegangen) übersandte der Kläger seine umfangreiche Widerspruchsbegründung (u. a. Äußerungen in der Literatur über die nicht ausreichende Höhe der Leistung und verfassungsrechtliche Bedenken) und erinnerte daran, dass er hierauf in der Klageschrift Bezug genommen habe.

Mit Verfügung vom 18. August 2005 wies der Vorsitzende der  Kammer (der abgelehnte Richter ) die Beteiligten darauf hin, dass beabsichtigt sei, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung und ohne ehrenamtliche Richter zu entscheiden. Dies sei möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt geklärt sei. Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Schreibens gegeben.

Die Klageerwiderung ging dem Sozialgericht am 25. August 2005 zu.

Mit Schreiben vom 27. August 2005 bat der Antragsteller zunächst um angemessene Fristverlängerung und wies darauf hin, dass er anwaltlich nicht vertreten sei, bat um Entscheidung über den PKH-Antrag, bzw. um Auskunft, welche Gründe einer zeitnahen Entscheidung über den Antrag entgegenstünden und bat ferner um Auskunft, auf welcher Rechtsgrundlage die Setzung einer 2-Wochen-Frist beruhe. Ferner bat er um Bestätigung, dass die Beklagte zwischenzeitlich die im Widerspruchsschreiben aufgeführten Unterlagen (Expertise des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom  17.12.2004; Gutachten “Hartz IV - verfassungswidrig?!", von Ulf Wende November 2004; Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 2. Januar 2005) zur Verfügung gestellt habe.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 29. August 2005 wies der Vorsitzende der Kammer den Antragsteller darauf hin, dass die 2-Wochen-Frist die angemessene Regelmindestfrist zur Stellungnahme vor Erlass eines Gerichtsbescheides sei. Den Antrag auf Fristverlängerung lehnte er mit der Begründung ab, dass es im vorliegenden Verfahren ausschließlich um die Rechtsfrage gehe, wie hoch der dem Antragsteller zustehende Regelsatz sei. Die Klageerwiderung wurde dem Schreiben beigefügt.

Mit Schreiben vom 3. September 2005 (dem Sozialgericht am 5. September 2005 zugegangen) lehnte der Antragsteller den Vorsitzenden der Kammer, wegen Besorgnis der Befangenheit ab im Wesentlichen mit der Begründung, dieser entscheide nicht über seinen PKH-Antrag und zwinge ihn, als nicht anwaltlich vertretenen Kläger, selbst eine Entscheidung zu treffen, welche fachlich qualifiziert nur durch einen anwaltlichen Vertreter getroffen werden könne. Dadurch werde verhindert, dass die Klage durch einen Rechtsanwalt ergänzend begründet werden könne. Die gesetzte Frist hinsichtlich des Gerichtsbescheides sei zu kurz, die beantragte Fristverlängerung sei ohne Grund abgelehnt worden, der abgelehnte Richter habe keine Auskunft gegeben, ob die von ihm - dem Antragsteller - genannten Unterlagen vorlägen. Damit sei das Gebot der Durchführung eines fairen Verfahrens durch den abgelehnten Richter verletzt worden; zudem ergebe si...

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