Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Übung

 

Leitsatz (amtlich)

Es geht um die Frage, ob sich die Mitarbeiter des eines … – Betrieb … – auf eine über ca. 3 Jahrzehnte hinweg erwachsene Betriebsübung berufen können, wonach ihnen am Rosenmontag/Fastnachtsdienstag sowie am Pfingstdienstag (sog. „Wäldchestag”) eines jeden Kalenderjahres jeweils ein Anspruch auf halbtägige bezahlte Arbeitsbefreiung zusteht, soweit dies nach Maßgabe der betrieblichen Belange möglich ist.

 

Normenkette

BGB § 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.12.1991; Aktenzeichen 11 Ca 261/91)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Frankfurt/Main vom05. Dezember 1991 – Az.: 11 Ca 261/91 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger eine Zeitgutschrift über 7 Stunden zu erteilen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Berufungsinstanz auf 600,– DM festgesetzt.

Es wird die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Anspruch des Klägers, am Rosenmontag bzw. Faschingsdienstag sowie am … „Wäldchestag” einen halben Arbeitstag bezahlte Freizeit zu erhalten.

Der Kläger ist seit dem 01.04.1972 im Betrieb F. der Beklagten beschäftigt. Sein monatlicher Verdienst belief sich zuletzt auf cirka 6.600,– DM brutto. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die für die Beklagte maßgebenden Tarifverträge, darunter insbesondere der Manteltarifvertrag Nr. 12 Bodenpersonal in seiner jeweils geltenden Fassung (= MTV), kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Der Kläger ist seit 1983 freigestelltes Betriebsratsmitglied.

Bereits vor 1972 sowie durchgängig bis 1990 gewährte die Beklagte ihren Mitarbeitern in F., soweit betriebliche Belange es zuließen, wahlweise am Rosenmontag oder Fastnachtsdienstag einen halben Arbeitstag bezahlte Freizeit. Unter der gleichen Voraussetzung wurde den F. Mitarbeitern seit jeher auch ein halber Arbeitstag bezahlte Freizeit für den Besuch des F. Volksfestes „Wäldchestag” (= Pfingstdienstag) zugestanden. Über diese Arbeitsbefreiungen, welche auch dem Kläger in der Vergangenheit jeweils zugute kamen, wurden die Mitarbeiter alljährlich mit i. w. gleichlautenden Aushängen unterrichtet; auf die Aushänge vom 02.05.1989.17.01.1990 und 08.05.1990 (Bl. 27, 82 u. 28 d. A.) wird insoweit verwiesen.

§ 3 Abs. 2 des hier einschlägigen Manteltarifvertrages hat folgenden Wortlaut:

„Nebenabreden und Vertragsänderungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform”

Im Jahre 1991 wurde die Arbeitsbefreiung für Rosenmontag/Faschingsdienstag seitens der Beklagten nicht gewährt, was vom Betriebsrat im Hinblick auf den Golf-Krieg sowie bezogen auf das laufende Kalenderjahr akzeptiert wurde. Als die Beklagte im Frühjahr 1991 – aufgrund der für sie eingetretenen, zum Negativen tendierenden Wirtschaftsentwicklung-erklärte, in Zukunft werde der halbe Tag Arbeitsbefreiung weder zur Karnevalszeit noch aus Anlaß des F. „Wäldchestages” gewährt, wurde jener Ankündigung vom Betriebsrat widersprochen und ein Mitbestimmungsrecht i. S. des § 87 Abs. 1 BetrVG reklamiert, welches wiederum die Beklagte mit Schreiben vom 15.05.1991 (Bl. 16 d. A.) in Abrede stellte.

Mit Schreiben vom 21.05.1991 (Bl. 10 d. A.) beanspruchte der Kläger sodann bezahlte Freistellung für den Besuch des Wäldchestages 1991, was die Beklagte mit Schreiben vom 27.05.1991 (Bl. 7, d. A.) ablehnte. Als der Kläger daraufhin am Wäldchestag 1991 seinen Dienst um 12,70 Uhr beendete, weigerte sich die Beklagte, die Arbeitszeit am Nachmittag jenes Tages im Umfange von 3,50 Stunden zu bezahlen. Dienstliche Belange standen an jenem Tage einer Arbeitsbefreiung des Klägers unstreitig nicht entgegen.

Mit der vorliegenden am 24.06.1991 zugestellten Klage hat der Kläger geltend gemacht, daß er auch in Zukunft Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung für Rosenmontag/Faschingsdienstag sowie für den Wäldchestag habe. Rechtsgrundlage hierfür bilde eine seit Jahrzehnten bestehende betriebliche Übung, der die Beklagte auch nicht die Bestimmung des § 3 Abs. 2 MTV entgegenhalten könne. Zum einen sei keine „Nebenabrede” betroffen, da es sich um die Regelung einer Hauptpflicht, nämlich der Pflicht zur Arbeitsleistung, handele; zum anderen liege keine „Vertragsänderung” vor, da jene betriebliche Übung bereits zum Zeitpunkt seiner Einstellung bestanden habe.

Darüber hinaus hält der Kläger die Ankündigung der Beklagten, wonach sie die bezahlte Arbeitsbefreiung in Zukunft verweigern werde, schon deswegen für unwirksam, weil sie den Betriebsrat – trotz des seines Erachtens bestehenden Mitbestimmungsrechts gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG – insoweit nicht beteiligt habe.

Der Kläger hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Zeitgutschrift über 3,5 Stunden zu erteilen,
  2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger am Rosenmontag oder Fastnachtsdienstag sowie am Pfingstdienstag des Jahres 1992 einen halben Arbeitstag bezahlt vo...

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