keine Angaben zur Rechtskraft

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Entfernung. Schriftstücke. Gesundheitszustand. Arbeitnehmer. Personalakte. Schutzvorkehrung. Persönlichkeitsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, bei in der Personalakte aufbewahrten Schriftstücken, die den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers betreffen und deswegen besonders sensibel sind, besondere Schutzvorkehrungen gegen nicht erforderliche Kenntnisnahme zu treffen.

 

Normenkette

BGB §§ 12, 862, 1004 analog; BGB 611; GG 1; GG 2; ZPO § 533

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.04.2004; Aktenzeichen 9 Ca 6822/03)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 12.09.2006; Aktenzeichen 9 AZR 271/06)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. April 2004 – 9 Ca 6822/03 – teilweise abgeändert, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen, wobei der Tenor insgesamt wie folgt neu gefasst wird:

Die Beklagte wird verurteilt, ihr Schreiben vom 27. November 2002 an den Kläger, das Schreiben der Gewerkschaft ver. di vom 23. Mai 2003 an die Beklagte sowie das weitere Schreiben der Beklagten vom 6. Juni 2003 an die A. zusammen in einem verschlossenen Umschlag abzuheften, wobei allein der Leiter der Personalabteilung bzw. dessen Stellvertreter öffnungsberechtigt ist und jede Öffnung mit Datum und Grund der Öffnung auf dem Umschlag zu vermerken ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen, wobei die Klage hinsichtlich der Mitteilung vom 12. August 2002 an PSL-P 33 über VTM-HR als unzulässig abgewiesen wird.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zwei Drittel und die Beklagte ein Drittel zu tragen. Von den Kosten des Berufungsrechtszuges haben der Kläger 72 % und die Beklagte 28 % zu tragen.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob den Kläger betreffende Schreiben aus der Personalakte des Klägers zu entfernen sind.

Der am 10. Februar 1957 geborene, verheiratete, einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist seit 01. Januar 1991 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) anwendbar. Seit 1998 übt der Kläger die Funktion eines X-leiters zu einer Bruttomonatsvergütung von etwa 3.600,00 Euro aus. Er ist in den nicht allgemein zugänglichen Bereichen des B. eingesetzt und unterliegt deshalb der Überprüfung gemäß § 29 d LuftVG in Verbindung mit der Verordnung zur Regelung des Verfahrens der Zuverlässigkeitsüberprüfung auf dem Gebiet des Luftverkehrs (im Folgenden nur noch: LuftVZÜVO). Im Abfertigungsfeld herrscht kraft behördlicher Anordnung ein absolutes Alkoholverbot.

Im Rahmen eines Hausbaues und nach dem Umzug in das neue Haus konsumierte der Kläger in erhöhtem Maße Bier, und er zog sich immer mehr von seiner Familie zurück. Die Ehefrau akzeptierte den Alkoholgenuss schließlich nicht mehr. Es gelang dem Kläger jedoch aus eigener Kraft nicht, den Alkoholgenuss einzustellen. Eine arbeitsmedizinische Untersuchung im Betrieb der Beklagten, in dem der Kläger wegen Alkoholgenuss nie auffällig geworden ist, ergab im September 2000 freilich keinen Befund. Im März 2001 beschloss der Kläger auf Druck seiner Ehefrau und auf Anraten des Hausarztes, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Leber- und Blutwerte des Klägers waren zu diesem Zeitpunkt ungünstig.

In der Folgezeit bis jedenfalls zum April 2004 unterzogen sich der Kläger und seine Ehefrau einer Beziehungstherapie. Im Zusammenwirken mit dem Beziehungstherapeuten stellte der Kläger einen Antrag auf Bewilligung einer Kur, wovon die Arbeitgeberin allerdings nicht informiert werden sollte. Ende Mai 2001 bewilligte die BfA dem Kläger eine Kur für einen Zeitraum von 16 Wochen. Im Hinblick darauf, dass der Kläger die Arbeitgeberin in den Anlass der Kur nicht einweihen wollte, besprach der Kläger mit dem Beziehungstherapeuten, ab 30. Juli 2003 lediglich eine verkürzte Kur von vier bis sechs Wochen durchzuführen. Nach etwa zweieinhalb Wochen stellte der Kläger fest, dass die verkürzte Kur zur Genesung nicht ausreichen würde. Er erhielt darauf den Rat, dem direkten Vorgesetzten, Herrn C., den Sachverhalt mitzuteilen, was er während der Kur im August 2001 auch tat. Auf Wunsch des Klägers erläuterte Herr C. dem engeren Mitarbeiterkreis den Sachverhalt. Er regte an, dass der Kläger mit der im Betrieb der Beklagten aufgebauten Suchtberatung Kontakt aufnehme, was der Kläger auch tat. Der Suchtberater, der der Schweigepflicht unterliegt, bat den Kläger, sich nach Beendigung der Kur mit ihm in Verbindung zu setzen. Herr C. und zwei Mitarbeiter der Suchtberatung besuchten den Kläger an seinem Kurort und sprachen mit ihm über seinen weiteren beruflichen Einsatz. Der Kläger sagte für die Zeit nach Beendigung der Kur eine Mitarbeit bei den Anonymen Alkoholikern am D. zu. Seit seiner Entlassung aus der Kur nimmt er die Dienste der betrieblichen Suchtberatung in Anspruch und arbeitet bei der Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker mit.

Nach Rückkehr...

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