Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfähigkeit. Surrogatstheorie. Urlaubsabgeltung. Urlaubsabgeltung bei Arbeitsunfähigkeit. Teleologische Reduktion des § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG

 

Leitsatz (amtlich)

Die teleologische Reduktion der Verfallfrist des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG im Fall der lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeit ist auf das durch das Unionsrecht gebotene Maß zu beschränken. Da der Europäische Gerichtshof einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten als ausreichend angesehen hat, ist § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass Urlaubsansprüche bei anhaltender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahrs verfallen (ebenso: LAG Baden-Württemberg vom 21.12.2011 - 10 Sa 19/11)

An der Aufgabe der Surrogatstheorie für den gesetzlichen Mindesturlaub und den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte ist festzuhalten.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 3-4

 

Verfahrensgang

ArbG Limburg a.d. Lahn (Entscheidung vom 15.03.2011; Aktenzeichen 1 Ca 448/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts M an der Lahn vom 15. März 2011 - 1 Ca 448/10 - teilweise unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.871,60 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01. August 2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin 83% und die Beklagte 17% zu tragen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5 zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch um Urlaubsabgeltung.

Die Klägerin wurde durch Arbeitsvertrag vom 5. April 1994 (Bl. 10 f. d.A.) mit Wirkung zum 1. April 1994 bei der A als Angestellte eingestellt. Nach § 2 des Arbeitsvertrags bestimmte sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber jeweils geltenden Fassung; außerdem sollten die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge Anwendung finden. Mit Wirkung zum 1.Juli 1997 wurde die A zusammen mit der B und der C auf die D in E verschmolzen. Am 30. September 1998 schlossen die Gewerkschaft F und die Gewerkschaft G einerseits sowie die D und die H andererseits den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Innendienst der I (im Folgenden: "MTV"), der für die Beschäftigten im Innendienst der J den BAT ablösen sollte. Dieser Tarifvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 35 Erholungsurlaub

1. Der Arbeitnehmer erhält in jedem Urlaubsjahr Erholungsurlaub unter Zahlung der Urlaubsvergütung. Das Urlaubsjahr umfasst die Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember.

....

3. Der Urlaubsanspruch kann erst nach Ablauf von 6 Monaten, bei Jugendlichen nach Ablauf von drei Monaten nach der Einstellung geltend gemacht werden, es sei denn, dass der Arbeitnehmer vorher ausscheidet.

....

7. Der Urlaub ist spätestens bis zum Ende des Urlaubsjahres anzutreten.

Kann der Urlaub bis zum Ende des Urlaubsjahres nicht angetreten werden, ist er bis zum 30. April des folgenden Urlaubsjahres anzutreten. Kann der Urlaub aus dienstlichen oder betrieblichen Gründen, wegen Arbeitsunfähigkeit oder wegen der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz nicht bis zum 30.04. des folgenden Urlaubsjahres angetreten werden, ist er bis zum 30. Juni anzutreten.

War ein innerhalb des Urlaubsjahres für dieses Urlaubsjahr festgelegter Urlaub auf Veranlassung des Arbeitgebers in die Zeit nach dem 31. Dezember des Urlaubsjahres verlegt worden, und konnte er wegen Arbeitsunfähigkeit nicht nach Satz 2 bis zum 30. Juni angetreten werden, ist er bis zum 30. September anzutreten. Urlaub, der nicht innerhalb der genannten Fristen angetreten ist, verfällt. ....

§ 36 Dauer des Erholungsurlaubs

1. Der Arbeitnehmer hat für jedes Kalenderjahr einen Anspruch auf Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen.

2. Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe des Urlaubsjahres, so beträgt der Urlaubsanspruch 1/12 für jeden vollen Beschäftigungsmonat. Scheidet der Arbeitnehmer wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit (§ 46) oder durch Erreichung der Altersgrenze (§ 47) aus dem Arbeitsverhältnis aus, so beträgt der Urlaubsanspruch 6/12, wenn das Arbeitsverhältnis in der ersten Hälfte, und 12/12, wenn es in der zweiten Hälfte des Urlaubsjahres endet. ...

§ 37 Zusatzurlaub für Schwerbehinderte

Für die Gewährung von Zusatzurlaub an Schwerbehinderte mit einem Behinderungsgrad von wenigstens 50% gelten die gesetzlichen Regelungen.

§ 38 Urlaubsabgeltung

1. Ist im Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch noch nicht erfüllt, ist der Urlaub, soweit dies dienstlich oder betrieblich möglich ist, während der Kündigungsfrist zu gewähren und zu nehmen. Soweit der Urlaub nicht gewährt werden kann oder die Kündigungsfrist nicht ausreicht, ist der Urlaub abzugelten. Entsprechendes gilt, wenn das Arbeits...

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