Entscheidungsstichwort (Thema)

Erforderlichkeit eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Betriebliches Eingliederungsmanagement und arbeitsmedizinische Untersuchung. Krankheitsbedingte Kündigung und Weiterbeschäftigungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ist nicht deshalb entbehrlich, weil arbeitsmedizinische Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen können oder dass gegen die Beschäftigung des Arbeitnehmers keine gesundheitlichen Bedenken bestehen.

Beruhen die Fehlzeiten eines Arbeitnehmers auf einer überdurchschnittlichen Krankheitsanfälligkeit, so kann Gegenstand eines betrieblichen Eingliederungsmanagements auch die Erarbeitung eines umfassenden Konzeptes zur Änderung der generellen (d. h. auch privaten) Lebensweise sein, damit der Arbeitnehmer auf diese Weise seine gesundheitliche Verfassung gerade bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten verbessert und damit seine Krankheitsanfälligkeit mindert. Auch wenn die Umsetzung des im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements erarbeiteten Konzeptes nicht dem Arbeitgeber, sondern dem Arbeitnehmer obliegt, ist die Erarbeitung eines derartigen Konzeptes noch Bestandteil des betrieblichen Eingliederungsmanagements.

 

Normenkette

SGB IX § 84 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Fulda (Entscheidung vom 02.10.2012; Aktenzeichen 1 Ca 471/11)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.11.2014; Aktenzeichen 2 AZR 755/13)

 

Tenor

1.) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Fulda vom 02. Oktober 2012, Az: 1 Ca 471/11, wird zurückgewiesen.

2.) Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

3.) Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung sowie über einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen, dass in der Entwicklung und Herstellung von Hygieneprodukten tätig ist. In ihrem Betrieb in A, in dem ein Betriebsrat besteht, beschäftigt sie ca. 220 Mitarbeiter.

Der bei Klageerhebung 47 Jahre alte, verheiratete Kläger, der für zwei Kinder unterhaltspflichtig ist, ist seit dem 24. Juni 1991 bei der Beklagten beschäftigt. Für seine Tätigkeit als Maschinenführer erhält der Kläger auf Basis eines Stundenlohns von Euro 15,15 brutto ein Bruttomonatseinkommen in Höhe von ca. Euro 2.700,-.

In der Vergangenheit war der Kläger wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. So konnte der Kläger z.B. jedenfalls in der Zeit vom 27. Juli 2006 bis zum 06. August 2006 und in der Zeit vom 24. Oktober 2006 bis zum 27. Mai 2007 seiner Arbeit wegen einer Handverletzung nicht nachgehen. In den Jahren 2008 bis 2011 war der Kläger in folgenden Zeiträumen arbeitsunfähig erkrankt:

Fehltage

2008

69

2009

74

2010

62

2011 bis zum 16.11.2011

120

Diese Fehlzeiten beinhalten drei Arbeitsunfälle (14. bis 16. Februar 2008, 19. Januar 2009 bis 04. Februar 2009 und 14. bis 23. Oktober 2009).

Im April 2009 wurde der Kläger arbeitsmedizinisch untersucht. Die Ärztin stellte in ihrer Stellungnahme vom 16. Juni 2009 u. a. fest, dass im Hinblick auf die Hauterkrankungen des Klägers keine gesundheitlichen Bedenken bestünden (Bl. 135 d. A.). Im Januar 2010 wurde der Kläger auf Veranlassung der Beklagten erneut arbeitsmedizinisch untersucht. In einem Schreiben vom 02. Februar 2010 teilte der Arbeitsmedizinische Dienst des TÜV [!X!]... der Beklagten u. a. mit (Bl. 37 d. A.):

"Aufgrund des Ergebnisses der aktuell durchgeführten arbeitsmedizinischen Untersuchung kann Herr B weiterhin im Schichtbetrieb als Maschinenführer der Firma C vollschichtig eingesetzt werden.

Es ergaben sich keine Hinweise darauf, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz bestehen könnten.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ergibt sich aus medizinischer Sicht kein sicherer Anhalt dafür, dass künftig weitere krankheitsbedingte längere Fehlzeiten auftreten werden."

Im September 2010 teilte die Berufsgenossenschaft D der Beklagten mit, dass dem Kläger für seine Arbeit einseitig beschichtete Strickhandschuhe zur Verfügung gestellt worden seien (Bl. 166 d. A.). Damit lassen sich arbeitsbedingte Kontaktallergien vermeiden. Im Jahr 2011 beruhten die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in erster Linie auf Hüftbeschwerden, die am 28. März 2011 zu einer Hüftoperation führten. Eine weitere arbeitsmedizinische Untersuchung im September 2011 kam zu dem Ergebnis, dass gegen die Beschäftigung des Klägers keine gesundheitlichen Bedenken bestünden (Bl. 38 d. A.).

Mit Schreiben vom 29. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. Juni 2012 (Bl. 10 d. A.).

Mit seiner am 02. Dezember 2011 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 19. Dezember 2011 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung gewandt und einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung geltend gemacht.

E...

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