Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich. Gesamtbetriebsrat
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Verhandlungen über einen Interessenausgleich ist der Gesamtbetriebsrat zuständig, wenn die geplante Betriebsänderung im Zusammenschluß eines bisher selbständigen Betriebs (hier; Verwaltung) mit einem anderen Betrieb desselben Unternehmens (hier: Produktionsbetrieb) besteht.
2. Hat der Arbeitgeber den Interessenausgleich lediglich mit dem Betriebsrat des zur Verlegung anstehenden Betriebs versucht, kann ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG geltend machen.
Normenkette
BetrVG § 113 Abs. 3, §§ 111, 50
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.02.1994; Aktenzeichen 9 Ca 5615/93) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt vom 16. Februar 1994 – 9 Ca 5615/93 abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
DM 57.885,–
(in Worten: Siebenundfünzigtausendachthundertfünfundachtzig Deutsche Mark)
Tatbestand
Die Parteien streiten in erster Linie um einen Anspruch auf Nachteilsausgleich, hilfsweise eine Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG; höchst hilfsweise macht die Klägerin die Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung geltend.
Die Klägerin war auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 11.01.1962 für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin als Angestellte tätig. Sie erhielt zuletzt ein Bruttogehalt von DM 3.606,– bzw., wie die Klägerin vorträgt, DM 3.859,–.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Feuerfestindustrie. Ihre Produktionsstätte befindet sich in … bei … mit ca. 76 Arbeitnehmern. Die Hauptverwaltung in Frankfurt, bei der die Klägerin tätig war, hatte 25 Arbeitnehmer. Beide Betriebe haben Betriebsräte gebildet, weiterhin besteht ein Gesamtbetriebsrat.
Am 02.04.1993 fand eine Gesellschafterversammlung statt. Im Protokoll vom selben Tage heißt es:
„Einziger Punkt der Tagesordnung war die Verlegung der Verwaltung zum Werk nach
Der Beschluß wurde einstimmig gefaßt. Es wurde empfohlen, den Umzug schnellstmöglich, auf jeden Fall aber im Laufe des Jahres 1993, durchzuführen. Voraussetzung ist eine detaillierte Planung sowie die Benennung eines für die Durchführung Verantwortlichen.”
Am 17.05.1993 wurde der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat erstmals über diese Absichten informiert und es wurde ihm der Entwurf eines Interessenausgleichs und Sozialplans vorgelegt.
Am 28.05. und 04.06.1993 verhandelten Betriebsrat und Geschäftsleitung ebenfalls ergebnislos. In der Sitzung vom 28.05.1993 waren nach den Darlegungen der Parteien im Verhandlungstermin vor dem Landesarbeitsgericht vom 02.02.1995 ein bis zwei Mitglieder des Gesamtbetriebsrats zunächst anwesend, verhandelten jedoch inhaltlich nicht und verließen den Raum, nachdem der Vertreter der Arbeitgeberseite die Unzuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für diese Angelegenheit gerügt hatte.
Durch Aushang vom 07.06.1993 (Bl. 200 d. A.) wurden die Arbeitnehmer der Verwaltung, die Interesse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in … hatten, gebeten, dies bis zum 14.06.1993 mitzuteilen. Es meldete sich niemand.
Am 15.06.1993 fand eine Einigungsstellensitzung statt, deren Vorsitzender am selben Tage das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich feststellte (vgl. das Protokoll der Sitzung Bl. 56, 57 d. A.).
Das Schreiben der Beklagten an den Vorsitzenden der Einigungsstelle nebst Anlagen wurde dem Betriebsrat am Morgen der Sitzung, die am 15.06.1993 um 12.30 Uhr begann, ins Fach gelegt (Bl. 17 – 44 d. A.).
Wie zweitinstanzlich unstreitig wurde (Bl. 211 d. A.) erhielt die Betriebsratsvorsitzende, Frau …, am 16.06.1993 den Anhörungsbogen zu den ordentlichen Änderungskündigungen der Arbeitnehmer der Hauptverwaltung in Frankfurt. Die Liste der betroffenen Arbeitnehmer samt deren Sozialdaten war beigefügt. Darunter befanden sich auch der Name und die Daten der Klägerin.
Die Klägerin erhielt am 25.06.1993 die Kündigung vom selben Tage zum 31.12.1993. Gleichzeitig wurde ihr der Arbeitsplatz einer Fremdsprachenkorrespondent in und Exportsachbearbeiterin ab dem 01.01.1994 in … angeboten und ihr mitgeteilt, wie sich ihr künftiges Gehalt zusammensetzen würde (Bl. 9 d. A.). Die Klägerin lehnte das Änderungsangebot ab.
Am 09.07.1993 schlossen Betriebsrat und Geschäftsleitung einen Sozialplan ab (Bl. 50 – 55 d. A.).
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, sie habe einen Anspruch auf Nachteilsausgleich, da die Beklagte weder rechtzeitig noch mit dem richtigen Partner einen Interessenausgleich versucht habe. Wegen der Betriebszusammenlegung des Frankfurter und des … Betriebes in … sei die Betriebsorganisation grundlegend geändert worden und damit der Gesamtbetriebsrat zuständig. Im übrigen habe die Beklagte den Betriebsrat erst informiert, als sowohl über das „ob” als auch über das „wie” der Betriebs Verlegung bereits abschließend entschieden worden sei. Auch sei die Information unvollständig und nicht wahrheitsgemäß ge...