1 Leitsatz

Die von einem Rechtsanwalt begehrte Einsicht in die Grundakten zur Ermittlung des Umfangs einer die Wohnungseigentümer belastenden Dienstbarkeit, kann nur dann vom Nachweis der Legitimation des Verwalters abhängig gemacht werden, wenn an der wirksamen Bevollmächtigung des Rechtsanwalts durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer begründete Zweifel bestehen.

2 Normenkette

GBO § 12

Sachverhalt

Rechtsanwalt R will für eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Einsicht in das Grundbuch nehmen. Hintergrund ist ein auf dem gemeinschaftlichen Eigentum ruhende Grunddienstbarkeit (ein Geh- und Fahrrecht) für den jeweiligen Eigentümer eines anderen Grundstücks. R soll dessen Umfang klären. Das Amtsgericht (AG) meint, R brauche für die Einsichtnahme eine Vollmacht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und müsse diese vorlegen. Das Oberlandesgericht (OLG) sieht das anders.

Entscheidung

Nach dem FamFG (Familienverfahrensgesetz), das im Fall anwendbar sei, sei, wenn ein Rechtsanwalt oder Notar auftrete, von Amts wegen nur dann nach einer Vollmacht zu fragen, wenn es berechtigte Zweifel an der Vollmacht gebe. Fehle es daran, genüge die Erklärung des Rechtsanwalts, für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu handeln. Diese Erklärung habe R abgegeben, indem er die Vertretung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer angezeigt habe. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer habe auch ein berechtigtes Interesse an der Einsicht. Sie habe nämlich gem. § 10 Abs. 6 Satz 2 WEG die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahrzunehmen. Hierzu zählten auch die aus einer Dienstbarkeit resultierenden Duldungspflichten der Wohnungseigentümer, soweit das gemeinschaftliche Eigentum betroffen sei. Zur Klärung des Umfangs der Duldungspflicht bedürfe es der begehrten Einsicht.

Hinweis

Der Fall ist ein prozessualer und daher für die Verwalterpraxis von geringerer Bedeutung. Anders ist es mit dem materiellen Gegenstand des Verfahrens. Hier muss jeder Verwalter wenigstens in Grundzügen wissen, dass das gemeinschaftliche Eigentum "belastet" sein kann, vor allem mit einer "Dienstbarkeit". Eine solche berechtigt dazu, das WEG-Grundstück in bestimmter, eingeschränkter Weise zu nutzen. Das BGB nennt als mögliche Dienstbarkeiten die Grunddienstbarkeiten (§§ 1018ff. BGB), den Nießbrauch an Sachen (§§ 1030ff. BGB) und beschränkte persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090ff. BGB).

In Betracht kommen etwa Duldungsverpflichtungen gegenüber Immissionen, Wegerechte am nicht überbauten Grundstück, Spielplatzflächenmitbenutzungsrechte, Geh- und Fahrtrechte (so war es im Fall), Mitbenutzungsrechte an Kinderspielplätzen, Mitbenutzungsrechte an Feuerwehrzufahrten oder an Mülltonnenhäuschen, Fernwärmebezugspflichten, Rechte am Dach, etwa für eine Fotovoltaikanlage oder eine Mobilfunkstation, Trafostations- und Erdkabelrechte. Die Pflichten aus einer solchen dinglichen Belastung treffen die Wohnungseigentümer als Grundstückseigentümer. Ihre Erfüllung muss aber der Verwalter koordinieren. Um dieser Pflicht gerecht zu werden, muss er sich selbstverständlich über den Grundbuchbestand im Klaren sein. Insoweit ist es sinnvoll, einen Fachmann einzuschalten, der den Grundbuchbestand klärt.

3 Link zur Entscheidung

OLG Stuttgart, Beschluss v. 21.3.2019, 8 W 88/19

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