1 Allgemeines

 

Rz. 1

Abs. 1 entspricht dem bis zum 31.12.2012 geltenden § 901 ZPO. Abs. 2 entspricht dem bis zum 31.12.2012 geltenden § 909 Abs. 1 ZPO. Gemäß § 39 Nr. 1 EGZPO ist für Vollstreckungsaufträge, die vor dem 1.1.2013 beim Gerichtsvollzieher eingegangen sind, die bis zum 31.12.2012 geltenden Rechtslage (§§ 901, 909 Abs. 1 ZPO a. F.) weiter anzuwenden (Art. 5 ZwVollstrAufklRefG; BGBl. I S. 2258).

2 Erlass eines Haftbefehls (Abs. 1)

2.1 Normzweck/Anwendungsbereich

 

Rz. 2

Der Erlass eines Haftbefehls dient als Form der Beugehaft (BVerfG NJW 1983, 559) zur Erzwingung eines vom Gesetz befohlenen Verhaltens und zwar der Durchsetzung der dem Schuldner obliegenden Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, die für sich gesehen eine unvertretbare Handlung (§ 888 ZPO) darstellt. Als Zwangsmittel soll die Erzwingungshaft lediglich auf den Willen der verpflichteten Person einwirken, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, die nicht erbracht worden ist, aber künftig noch erbracht werden kann (BVerfG, NJW 2018, 531).

Die Vorschrift findet auch im Verfahren zur Beitreibung von Ordnungsgeld im Sinne von § 890 ZPO Anwendung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 JBeitrG). Sie ist als solche mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vereinbar (BVerfG, NJW 2018, 531). Die Norm ist auch anwendbar bei der Verwaltungsvollstreckung nach § 284 AO (BGH, NJW 2008, 3504 zu § 901 ZPO a. F.). Im Rahmen der Vollstreckung nach dem niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz kann ein Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft jedoch nicht ergehen, weil es an einer Rechtsgrundlage fehlt. Nach § 22 Abs. 4 NVwVG gelten für das Verfahren zwar die §§ 899 bis 914 der ZPO entsprechend. Jedoch wurde § 901 ZPO mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung zum 1.1.2013 aufgehoben. Damit verweist § 22 Abs. 4 NVwVG auf eine nicht mehr existierende Bestimmung, auf deren Grundlage ein Haftbefehl nicht erlassen werden kann (AG Neustadt DGVZ 2013, 216).

Nicht anzuwenden ist die Norm, wenn der Haftbefehlsantrag erst nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung am 1.1.2013 gestellt wurde, maßgeblich bleibt dann weiterhin § 901 ZPO a. F. (AG Augsburg DGVZ 2013, 140; AG Augsburg Vollstreckung effektiv 2013, 185 = DGVZ 2013, 80). Denn nach § 39 Nr. 1 EGZPO kommt es für die Frage der Anwendung des neuen oder alten Rechts darauf an, ob der Vollstreckungsauftrag vor oder nach dem 1.1.2013 beim Gerichtsvollzieher „eingegangen ist, wenn es dort heißt "Für Vollstreckungsaufträge, die vor dem 01. Januar 2013 beim Gerichtsvollzieher eingegangen sind". Der Haftbefehlsantrag selbst ist allerdings kein Vollstreckungsauftrag.

 

Rz. 3

In das Grundrecht auf Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingegriffen werden (Art. 2 Abs. 2 Satz 3, Art. 104 Abs. 1 und 2 GG). Ein solcher Eingriff muss daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, der sich bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst ergibt und dem als Element des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang zukommt (BVerfG, NJW 1966, 243; BVerfG, NJW 2018, 531). Der Eingriff muss geeignet und erforderlich sein, seinen Zweck (vgl. RZ 2) zu erreichen; er darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten, muss diesem also zumutbar sein (BVerfG, NJW 1978, 2023; BVerfG, BVerfGE 61, 126; BAG NJW 2010, 1164). Die Regelung sieht nicht vor, dass bei Anordnung der Erzwingungshaft eine bestimmte Haftdauer festgesetzt wird. Das Gesetz geht vielmehr davon aus, dass die Haft im Regelfall andauert, bis der Schuldner die eidesstattliche Versicherung abgibt (§ 802i Abs. 2 ZPO). Es bestimmt lediglich eine Maximaldauer von sechs Monaten, nach deren Ablauf der Schuldner von Amts wegen aus der Haft zu entlassen ist (§ 802j Abs. 1 ZPO).

 

Rz. 3a

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt nicht, bei der Vollstreckung wegen einer Geldforderung die Dauer der Erzwingungshaft im Einzelfall unter Berücksichtigung der Höhe der Forderung kürzer zu bemessen. Das Vollstreckungsgericht hat allerdings im Zeitpunkt der Anordnung der Erzwingungshaft den verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen (BVerfG, 2018, 531 m. w. N.). Dabei erstreckt sich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht nur auf das "Ob", sondern auch auf das "Wie", also die Dauer der Erzwingungshaft. Daher hat das Gericht aus verfassungsrechtlicher Sicht auch zu bedenken, ob bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und bei einer Gesamtbetrachtung die Anordnung der Erzwingungshaft für eine Dauer bis zu sechs Monaten verhältnismäßig ist, d. h. ob auch bei Ausschöpfung der Höchstfrist die Erzwingungshaft verhältnismäßig wäre. Das BVerfG (NJW 2018, 531) stellt klar, dass bei einer Geldforderung von 1.000 EUR keine Bagatellforderung vorliegt, bei der dem Gläubiger, dem der Eigentumsschutz des Art. 14 GG zugutekommt, mit Rücksicht auf das Freiheitsinteresse des Schuldners von vornherein ein Verzicht auf die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zuzumuten wäre.

 

Rz. 3b

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