1 Grundsatz – Zweck

 

Rz. 1

Neben dem Urteil (§ 704 ZPO) können auch andere Titel Grundlage der Zwangsvollstreckung sein. Die Bestimmung zählt die wichtigsten dieser Titel auf. Von Bedeutung für die forensische Praxis sind vor allem der Prozessvergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und die Unterwerfungserklärung nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 8.6.2014 (BGBl. I S. 890) ist § 794 Abs. 1 Nr. 6 ZPO neugefasst und sind dem § 794 Abs. 1 die Nrn. 7-9 hinzugefügt worden. Diese Änderung ist seit dem 10.1.2015 in Kraft (Art. 15 des Gesetzes). Absatz 1 Nr. 8 wurde ergänzt durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Bereich des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts vom 11.6.2017 m. W. v. 14.7.2017 (BGBl. I S. 1607). Die Aufzählung in § 794 Abs. 1 ZPO ist allerdings nicht vollständig, denn neben den in ihr aufgeführten Vollstreckungstiteln gibt es eine Reihe anderer Titel, die ebenfalls nach den Regeln der Zivilprozessordnung vollstreckbar sind.

2 Vergleich (Absatz 1 Nr. 1)

2.1 Allgemeines

 

Rz. 2

Der Prozessvergleich ist zum einen eine materiell-rechtliche Vereinbarung (privatrechtlicher Vertrag, § 779 BGB) und zum anderen ein das Verfahren beendender Prozessvertrag (sog. Doppelnatur des Prozessvergleichs; OLG Hamm, Beschluss v. 12.10.2020, 5 W 46/20, juris; BAG ArbR 2011, 586 = NJW-Spezial 2011, 692; BGHZ 164, 190; BGH, NJW 1980, 1753). Er ist Prozesshandlung, weil er den Rechtsstreit beendet, und privatrechtliches Rechtsgeschäft, weil er sachlich rechtlich die Ansprüche und Verbindlichkeiten der Parteien regelt. Jedoch stehen Prozesshandlung und Rechtsgeschäft nicht getrennt nebeneinander. Vielmehr bildet der Prozessvergleich eine Einheit, die eine gegenseitige Abhängigkeit der prozessualen Wirkungen und der materiell-rechtlichen Regelungen bewirkt. Daher ist ein Prozessvergleich nur wirksam, wenn sowohl die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Vergleich als auch die prozessualen Anforderungen erfüllt sind, die an eine wirksame Prozesshandlung zu stellen sind. Fehlt es auch nur an einer dieser Voraussetzungen, liegt ein wirksamer Prozessvergleich nicht vor; die prozessbeendigende Wirkung tritt nicht ein (BGHZ 164, 190; LG Hamburg, Urteil v. 8.2.2021, 325 O 346/19, juris). Der nach § 78 Abs. 1 ZPO vor dem Oberlandesgericht bestehende Anwaltszwang gilt auch für den Abschluss eines Prozessvergleichs vor dem Güterichter. Ein ohne Mitwirkung eines Anwalts abgeschlossener Vergleich ist jedoch materiell-rechtlich wirksam (OLG Frankfurt, Urteil v. 17.12.2019, 11 U 56/17, juris). Nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO findet die Zwangsvollstreckung aus Vergleichen statt, die zwischen den Parteien zur Beilegung eines Rechtsstreits geschlossen worden sind. Ein Prozessvergleich ist jedoch nur dann Vollstreckungstitel, wenn er einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat (vgl. Zöller/Geimer, § 794 Rn. 14). Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung der den Schuldner treffenden Leistungspflicht, scheidet eine Vollstreckung aus. Die Vollstreckung aus einem Titel kann daher nur in den Fällen erfolgen, in denen hinreichend klar ist, welche konkrete Leistung von dem Schuldner gefordert wird (OLG München, Beschluss v. 22.3.2016, 34 Wx 43/16, juris; BAG, Beschluss v. 14.2.2017, 9 AZB 49/16, Rn. 9, juris m. w. N.).

Hierbei erfordern das Rechtsstaatsprinzip und das daraus folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass materiell-rechtliche Ansprüche effektiv, auch mithilfe der Zwangsvollstreckung, durchgesetzt werden können. Deshalb ist das Vollstreckungsgericht nicht von vornherein der Notwendigkeit enthoben, selbst eine möglicherweise schwierige Klärung der Frage herbeizuführen, ob die aus einem Titel folgende Verpflichtung erfüllt wurde (BAG, Beschluss v. 31.5.2012, 3 AZB 29/12, Rn. 16, juris; BAG, Beschluss v. 9.9.2011, 3 AZB 35/11, Rn. 14, juris). D.h. Vollstreckungstitel müssen so eindeutig wie möglich sein, es rechtfertigt aber nicht jeder verbleibende noch so geringe Spielraum die Annahme fehlender Vollstreckungsfähigkeit (LAG Berlin-Brandenburg, BB 2018, 1331). Die Verpflichtung des Vermieters im Räumungsvergleich, er werde Umzugskosten des Mieters bis zu einer bestimmten Höhe übernehmen, ist dahin auszulegen, dass der Vermieter nach Vorlage der Rechnung den Betrag zahlen muss. Ein solcher Vergleich ist tauglicher Vollstreckungstitel (LG Hamburg, ZMR 2015, 905). Der Verzicht auf einen Räumungsschutzantrag nach § 794a ZPO in einem Räumungsvergleich macht den Prozessvergleich nicht sittenwidrig und damit nichtig, sofern mit diesem Verzicht nicht auch der Verzicht auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO verbunden ist (AG Kitzingen, Urteil v. 21.1.2015, 3 C 837/12, juris). Regelungen, die ein freiwilliges Entgegenkommen der einen Partei darstellen, um die andere Partei dazu zu bewegen, den Vergleich abzuschließen und den bestehenden Rechtsstreit aus der Welt zu schaffen, erhöhen den Gegenstandswert des Vergleichs nicht (AG Hamburg, AGS 2016, 523; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2009, 444).

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