1 Grundsatz – Zweck

 

Rz. 1

Die Bestimmung regelt in ihrem Abs. 1 die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses und in ihrem Abs. 2 diejenige des Notfristzeugnisses; Letzteres ist in der Vielzahl der Fälle Voraussetzung für die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses. In Verfahren betreffend Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit findet § 46 FamFG Anwendung.

 

Rz. 2

Das Rechtskraftzeugnis dient zum Nachweis der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Es ist deshalb zu allen Entscheidungen zu erteilen, die der formellen Rechtskraft fähig sind; also zu Urteilen, Vollstreckungsbescheiden und zu rechtskräftigen Beschlüssen. Da Prozessvergleiche nicht in Rechtskraft erwachsen können, findet die Bestimmung auf solche keine Anwendung. Die Rechtskraft eines Urteils ist auf Verlangen nicht nur auf dem Urteil selbst, sondern auch auf dem zu ihm ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss zu erteilen (Zöller/Seibel, § 706 Rn. 1). Das Notfristzeugnis kommt dagegen nur zu Entscheidungen in Betracht, die mit einem befristeten Rechtsmittel angefochten werden können.

2 Das Rechtskraftzeugnis (Absatz 1)

2.1 Bedeutung

 

Rz. 3

Im Bereich der Zwangsvollstreckung ist der Nachweis der Rechtskraft für den Vollstreckungsgläubiger von Bedeutung, dessen Titel zunächst nur gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar war. Er kann – nach Eintritt und Nachweis der formellen Rechtskraft – nunmehr ohne Sicherheitsleistung auch über den Rahmen des § 720a ZPO hinaus vollstrecken. Eine bereits geleistete Sicherheit kann er gegen Vorlage des Rechtskraftzeugnisses zurückverlangen (§ 715 ZPO). Hat der Vollstreckungsschuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung Sicherheit geleistet, so kann der Vollstreckungsgläubiger nunmehr unter Vorlage des Titels und des Rechtskraftzeugnisses unmittelbare Auszahlung des vom Schuldner hinterlegten Betrags an sich verlangen (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 HinterlO i. V. m. §§ 378, 379 BGB). Nicht nur im Bereich der Zwangsvollstreckung ist der Nachweis der formellen Rechtskraft einer Entscheidung von Bedeutung, sondern auch im Verfahrensrecht (z. B. §§ 582, 586 Abs. 2 ZPO – Klagefrist bei der Restitutionsklage) und im materiellen Recht (z. B. §§ 204 Abs. 2, 864 Abs. 2, 2193 Abs. 2, 2342 Abs. 2 BGB).

 

Rz. 4

Dem Rechtskraftzeugnis kommt in allen Fällen lediglich eine formelle Bedeutung zu. Es bezeugt mit der Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde (§ 418 ZPO), dass die entsprechende Entscheidung innerhalb der Rechtsmittelfrist (bzw. Einspruchsfrist) unangefochten geblieben ist. Es enthält demgegenüber keine Aussage über die materielle Richtigkeit und den Bestand der Entscheidung sowie über die innere Bindung der Parteien hieran, also über die materielle Rechtskraft (BGH, NJW 1960, 671; FamRZ 1971, 635). Bis zum Beweis der Unrichtigkeit (§ 418 Abs. 2 ZPO) gilt der Beweis des Eintritts der formellen Rechtskraft als erbracht. Zur Durchführung der Zwangsvollstreckung ist das Rechtskraftzeugnis weder erforderlich noch ausreichend. Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung ist vielmehr grundsätzlich eine mit der Vollstreckungsklausel versehene Ausfertigung des jeweiligen Vollstreckungstitels (vgl. § 724 Abs. 1 ZPO). Nur wenn der Gläubiger, der über einen gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Titel verfügt, nach Eintritt der Rechtskraft ohne vorherige Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung betreiben will, bedarf er neben der vollstreckbaren Ausfertigung auch eines Rechtskraftzeugnisses, um mit diesem den Nachweis der Rechtskraft zu führen (MüKoZPO/Götz, § 706 Rn. 1).

2.2 Verfahren

2.2.1 Antrag

 

Rz. 5

Das Rechtskraftzeugnis wird nicht von Amts wegen erteilt, sondern auf Antrag. Antragsberechtigt sind alle Prozessbeteiligten sowie deren Rechtsnachfolger (z. B. Insolvenzverwalter); neben den Parteien auch der Streithelfer. Unbeteiligte Dritte sind nicht antragsberechtigt, auch wenn sie die Entscheidung in den Händen halten. Der Antrag kann formlos gestellt werden. Er setzt allerdings die Vorlage der Ausfertigung der Entscheidung voraus, auf deren Kopf die Rechtskraft bescheinigt wird. Anwaltszwang besteht nicht (§ 78 Abs. 3 ZPO). Für Ehe- und Abstammungssachen macht § 46 Satz 3 FamFG eine Ausnahme vom Antragsprinzip.

2.2.2 Zuständigkeit

 

Rz. 6

Für die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zuständig, und zwar grundsätzlich der Geschäftsstelle des Gerichts, das in erster Instanz entschieden hat. Unerheblich dabei ist, ob dieses Gericht in der Hauptsache zuständig war. Hat also das Landgericht einen Streit entschieden, für den das Amtsgericht (als Familiengericht beispielsweise) zuständig war, so ist für die Erteilung des Rechtskraftzeugnisses der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts zuständig (Stein/Jonas/Münzberg, § 706 Rn. 4). Ist der Rechtsstreit allerdings bei einem höheren Gericht anhängig, so ist der Urkundsbeamte des Rechtsmittelgerichts zuständig. Die Zuständigkeit der Geschäftsstelle des Rechtsmittelgerichts beginnt mit der Einreichung der Rechtsmittelschrift und dauert an, solange dieses Gericht die Akten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel vorliegen hat ...

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