Zusammenfassung

Der BGH beantwortet die bisher umstrittene Frage, welcher Prüfungsmaßstab für Schiedssprüche in kartellrechtlichen Fragen gilt: Eine bloße Evidenzkontrolle reicht nicht aus. Der Schiedsspruch ist vollumfänglich auf seine Vereinbarkeit mit dem ordre public überprüfbar.

Schiedsverfahren sind für Unternehmen eine interessante Alternative zu einem Prozess vor einem staatlichen Gericht. Es gibt nur eine Instanz, d.h. die Entscheidung des Schiedsgerichts ist abschließend. Dass ein Schiedsgericht dennoch nicht immer das "letzte Wort" hat, bestätigt eine aktuelle Entscheidung des BGH zur Überprüfbarkeit und Aufhebung von Schiedssprüchen. Ein Schiedsspruch kann von einem staatlichen Gericht vollumfänglich darauf überprüft werden, ob er gegen die wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts (ordre public) verstößt. Dazu gehören auch die Bestimmungen des Kartellrechts.

Kurzwiedergabe des Sachverhaltes

Der BGH hatte über die Aufhebung eines Schiedsspruchs wegen eines möglichen Verstoßes gegen den ordre public zu entscheiden. Nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO ist ein solcher Aufhebungsantrag begründet, wenn der Schiedsspruch gegen die wesentlichen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung (ordre public) verstößt.

Die Parteien des Schiedsverfahrens stritten um die Kündigung eines Pachtvertrags über einen von zwei Steinbrüchen im Büdinger Wald in Hessen. Die Eigentümerin kündigte der Pächterin einer der Steinbrüche den Pachtvertrag zum 31.1.2018, fünf Jahre vor dem Ende der Laufzeit. Die Eigentümerin, die Antragsgegnerin, forderte die Pächterin, die Antragstellerin, außerdem auf, ihre zum Steinbruch gehörigen Betriebsmittel nach der Kündigung an die Pächterin des anderen, ebenfalls in diesem Gebiet belegenen Steinbruchs zu veräußern. Ziel der Kündigung war es, die Antragsgegnerin dazu zu bringen, den Steinbruch an ihre Konkurrentin zu veräußern, um eine höhere Pacht erzielen zu können, nachdem der Wettbewerb zwischen den zwei Steinbrüchen beseitigt war.

Die Pächterin erwirkte gegen die Eigentümerin ein Bußgeld beim Bundeskartellamt wegen Verstoßes gegen kartellrechtliche Bestimmungen. In der Kündigung und der Aufforderung zur Veräußerung der Betriebsmittel sah das Bundeskartellamt einen Verstoß gegen § 21 Abs. 2 Nr. 1 GWB und § 21 Abs. 3 Nr. 2 GWB und verhängte ein Bußgeld gegen die Antragsgegnerin. Danach ist es Unternehmen verboten, einem anderen Unternehmen Nachteile anzudrohen, um sie zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Außerdem ist es Unternehmen verboten, ein anderes Unternehmen zum Zusammenschluss mit anderen Unternehmen zu zwingen. Nachdem die Antragsgegnerin das Schiedsgericht anrief, wurde die Antragstellerin durch den Schiedsspruch zur Herausgabe der Pachtfläche des Steinbruchs verurteilt. Anders als das Bundeskartellamt sah das Schiedsgericht darin keinen Verstoß gegen kartellrechtliche Vorschriften.

Gegen den Schiedsspruch legte die Antragstellerin Widerklage ein. Diese war darauf gerichtet, die Unwirksamkeit der Kündigungen und die Unzulässigkeit der Androhung von Nachteilen durch die Antragsgegnerin festzustellen. Dies blieb erfolglos.

Die Antragstellerin leitete daraufhin ein Verfahren zur Aufhebung des Schiedsspruchs vor dem OLG Frankfurt a.M. ein. Mit Beschluss vom 22.4.2021 lehnte das Oberlandesgericht den Antrag ab und begründete dies damit, dass der Schiedsspruch nicht gegen ordre public verstoße. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde zum BGH hatte Erfolg.

BGH, Beschluss v. 27.9.2022, KZB 75/21

Der BGH entschied, dass der Schiedsspruch umfassend auf Verstöße gegen kartellrechtliche Vorschriften zu überprüfen sei. Der BGH kam zum Ergebnis, dass es zur Wahrung des ordre public nicht ausreichend sei, eine bloße Evidenzkontrolle durchzuführen. Das Gericht könne und müsse alle tatsächlichen und rechtlichen Aspekte vollständig auswerten. Der BGH kam zum Ergebnis, dass die Kündigung und Zufügung von Nachteilen Verstöße gegen kartellrechtliche Vorschriften (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 GWB und § 21 Abs. 3 Nr. 2 GWB) darstellten.

Das Kartellrecht als Bestandteil des ordre public

§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO sieht vor, dass ein Schiedsspruch aufgrund eines Verstoßes gegen den ordre public aufgehoben werden kann. Unter ordre public versteht man die Gesamtheit der wesentlichen Grundsätze einer Rechtsordnung. Ein Verstoß gegen den ordre public liegt somit vor, wenn die Entscheidung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, d.h. der Schiedsspruch eine Norm verletzt, die die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens regelt.

Es ist allgemein anerkannt, dass die kartellrechtlichen Verbotsvorschriften der §§ 19, 20, 21 GWB zu diesen elementaren Grundlagen des deutschen Rechts gehören.

Prüfungsmaßstab für die Überprüfung von schiedsgerichtlichen Entscheidungen

Der BGH entschied, dass es zur Entscheidung über Verstöße gegen ordre public stets einer vollumfänglichen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht bedürfe. Er stell...

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