Leitsatz

Gemeinschaftliche Anspruchsverfolgung versus individual-rechtliche Verfahrensbefugnis (hier: zu § 1004 BGB)

 

Normenkette

§§ 10 Abs. 6, 22 WEG; § 1004 BGB; §§ 265, 325, 727 ZPO

 

Kommentar

  1. Im vorliegenden Fall hatte ein einzelner Eigentümer einen Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB als Ausfluss seines Miteigentums individualrechtlich geltend gemacht. Hieran hat sich auch durch die Anerkennung der Rechtsfähigkeit des Wohnungseigentümerverbands nichts geändert.
  2. Allerdings kann der Verband gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG sog. gemeinschaftsbezogene Ansprüche auch durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen (wie vorliegend erfolgt). Noch nicht abschließend geklärt ist insoweit die Frage, welche Auswirkungen ein solcher Beschluss auf die individuelle Befugnis einzelner Eigentümer insb. hinsichtlich etwaiger Ansprüche aus § 1004 BGB besitzt. Das OLG München (NZM 2008 S. 76) und das OLG Hamburg (ZMR 2009 S. 306) gehen davon aus, dass ein solcher Mehrheitsbeschluss, einen bestimmten Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch durch den Wohnungseigentümerverband verfolgen zu lassen, den einzelnen Miteigentümer nicht hindert, den gleichen Anspruch auch (weiterhin) individuell geltend zu machen.

    Diese Auffassung teilt der Senat unter Berufung auf Wenzel (NZM 2008, S. 74) und Jennißen (NJW 2008, S. 2004, 2005) nicht. Der Fall ist hier nicht anders zu beurteilen als bei der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gegen den Bauträger. Hier wie dort wird nämlich in der Regel nicht nur über das "Ob" der Anspruchsdurchsetzung, sondern auch über das "Wie" und damit über die Gestaltung des gemeinschaftlichen Eigentums entschieden. Damit wird zwar dem einzelnen Miteigentümer nicht der Anspruch als solcher, wohl aber dessen Verfahrungsbefugnis entzogen. Offen ist allerdings die Problematik, wenn der einzelne Eigentümer seinen Anspruch bereits vor der Entscheidung der Eigentümer rechtshängig gemacht hat. Dieses Problem hat der Gesetzgeber nicht gesehen.

    Der Senat schließt diese Gesetzeslücke durch analoge Anwendung der §§ 265, 325 ZPO und erweitert diese Regelung über Fälle hinaus, in denen einem Kläger nach Eintritt der Rechtshängigkeit die Prozessführungsbefugnis entzogen wurde. Es ist auch ein Gebot der Prozessökonomie, dass die Ergebnisse eines bereits anhängigen Verfahrens nicht verloren gehen, sondern tatsächlich zu einer streitbeendenden Entscheidung führen. Der "Beseitigungsschuldner" hat bei objektiver Betrachtung ein erhebliches (Kosten-)Interesse, nur einmal in Anspruch genommen und im Fall einer möglichen Zwangsvollstreckung nicht durch einen Wettlauf der Titelgläubiger (mit möglicherweise unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich des herzustellenden Zustands) beeinträchtigt zu werden. Der einzelne Anspruchsteller und der Wohnungseigentümerverband müssen schließlich ein Interesse haben, möglichst schnell zu einer gerichtlichen Klärung der Beseitigungspflicht zu kommen. Durch eine analoge Anwendung des § 325 Abs. 1 ZPO kann zudem die Gefahr sich widersprechender gerichtlicher Entscheidungen vermieden werden.

  3. Probleme bei der Zwangsvollstreckung einer stattgebenden Entscheidung können auch durch analoge Anwendung des § 727 ZPO vermieden werden. Zudem hat die Gemeinschaft die Möglichkeit, den einzelnen Eigentümer, der den Titel erstritten hat, zu seiner Durchsetzung zu ermächtigen. Legt hingegen die Mehrheit der Eigentümer Wert auf eine Durchsetzung durch den Verband, wird man den Titelinhaber auf der Grundlage des Eigentümerbeschlusses über die gemeinschaftliche Rechtsverfolgung als verpflichtet ansehen müssen, bei der Titelumschreibung mitzuwirken.
 

Link zur Entscheidung

OLG Hamm, Beschluss vom 05.11.2009, I-15 Wx 15/09

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge