Leitsatz

Eine von den Wohnungseigentümern gesamtschuldnerisch zu tragende Abgabenschuld stellt eine gemeinschaftsbezogene Pflicht im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG dar. Im Innenverhältnis ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verpflichtet, den durch Leistungsbescheid in Anspruch genommenen Wohnungseigentümer von der Abgabenschuld freizustellen.

Erfüllt der Wohnungseigentümer die Abgabenforderung aus eigenen Mitteln, steht ihm gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ein Erstattungsanspruch zu. Ein Erstattungsanspruch besteht grundsätzlich auch dann, wenn der Wohnungseigentümer die Forderung aus dem Leistungsbescheid begleicht, ohne dies mit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zuvor abzustimmen. Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids berechtigen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer grundsätzlich nicht zu einer Zahlungsverweigerung, wenn der Wohnungseigentümer die Möglichkeit offen gehalten hat, die Rechtmäßigkeit des Bescheids verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen

 

Normenkette

§ 10 Abs. 6 Satz 3 WEG

 

Das Problem

  1. Mit 2 Bescheiden eines Abwasser- und Wasserzweckverbands wird Wohnungseigentümer 1 für die erstmalige Herstellung der zentralen öffentlichen Schmutzwasseranlage und der öffentlichen Wasserversorgungsanlage auf Zahlung von insgesamt 42.050,17 EUR in Anspruch genommen. Die Bescheide beziehen sich auf das gesamte Grundstück.
  2. Wohnungseigentümer 1 legt gegen die Bescheide jeweils Widerspruch ein, den der Abwasser- und Wasserzweckverband aber jeweils zurückweist. Nunmehr zahlt Wohnungseigentümer 1 ohne Abstimmung mit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bzw. den anderen Wohnungseigentümern die 42.050,17 EUR. Zugleich einigt er sich mit dem Abwasser- und Wasserzweckverband darauf, dass die Widerspruchsbescheide im Hinblick auf ein bei dem OVG Berlin-Brandenburg anhängiges, die Altanlieger betreffendes Präzedenzverfahren aufgehoben werden und über die Widersprüche erst nach Abschluss des Präzedenzverfahrens entschieden wird.
  3. Anschließend verlangt Wohnungseigentümer 1 von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Zahlung von 40.886,85 EUR nebst Zinsen als Ausgleich für die an den Abwasser- und Wasserzweckverband geleisteten Beiträge abzüglich des auf seinen Miteigentumsanteil entfallenden Anteils. Das Amtsgericht Königs-Wusterhausen gibt der Klage statt. Das Landgericht Frankfurt/Oder weist sie hingegen ab. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei nicht passivlegitimiert (= die richtige Beklagte). Der Ausgleichsanspruch sei gegen die übrigen Wohnungseigentümer als Teilschuldner zu richten. Etwas anderes ergebe sich nicht aus § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG. Bei der Verpflichtung der Wohnungseigentümer zum Gesamtschuldnerausgleich nach § 426 BGB handle es sich nicht um eine gemeinschaftsbezogene Pflicht.

    § 10 Abs. 6 WEG

    […] . Sie übt die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer aus und nimmt die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahr, ebenso sonstige Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind. […]

  4. Mit der Revision verfolgt Wohnungseigentümer 1 sein Klageziel weiter.
 

Entscheidung

  1. Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen lasse sich ein Erstattungsanspruchnicht verneinen. Ein solcher könne sich auf der Grundlage von § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG ergeben.
  2. Die Abgabenschuld begründe im Innenverhältnis der Wohnungseigentümer eine gemeinschaftsbezogene Pflicht im Sinne des § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG, die von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer wahrzunehmen sei.
  3. Die Gesamtschuld der Wohnungseigentümer bestehe ungeachtet der von § 10 Abs. 8 WEG angeordneten nur quotalen Außenhaftung der Wohnungseigentümer für Verbindlichkeiten der Gemeinschaft. Diese Haftungsbegrenzung greife nämlich nicht ein, wenn im Landesrecht eine Gesamtschuld der Wohnungseigentümer in ihrer Eigenschaft als Miteigentümer des Grundstücks gesetzlich vorgesehen sei (Hinweis auf BGH v. 18.6.2009, VII ZR 196/08, BGHZ 181 S. 304 Rn. 18).
  4. Die Frage, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer im Innenverhältnis verpflichtet sei, von den Wohnungseigentümern in ihrer Eigenschaft als Miteigentümer des gemeinschaftlichen Grundstücks gesamtschuldnerisch zu tragende öffentliche Abgaben zu erfüllen, werde nicht einheitlich beantwortet. Teilweise werde unter Hinweis auf das Vorliegen einer gekorenen Wahrnehmungsbefugnis gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG angenommen, dass solche Verbindlichkeiten im Interesse eines Gläubigers oder der Wohnungseigentümer gemeinschaftlich erfüllt werden können, aber nicht erfüllt werden müssen; die Wohnungseigentümer hätten insoweit einen Entscheidungsspielraum (Wenzel, IMR 2009, S. 208; Klein, in Bärmann, WEG, 12. Aufl. 2013, § 10 Rn. 262). Die herrschende Meinung hingegen gehe mit unterschiedlichen Begründungen von einer Wahrnehmungspflicht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ohne Ermessensspielraum aus (Hinweis unter anderem auf VG Köln v. 20.7.2011,...

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