Grundsätzlich zu beachten ist, dass nicht jede Abweichung von der in der Teilungserklärung bzw. Gemeinschaftsordnung festgelegten Zweckbestimmung einen Unterlassungsanspruch der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer oder konkret beeinträchtigter Wohnungseigentümer begründet. Erforderlich ist vielmehr, dass die abweichende Nutzung bei typisierender Betrachtungsweise mit größeren Beeinträchtigungen verbunden ist, als eine zweckbestimmungsgemäße Nutzung.[1]

 
Praxis-Beispiel

Übersetzungsbüro in Wohnung

Die Wohnungseigentumsanlage besteht ausschließlich aus Wohnungen. Demgemäß ist in der Teilungserklärung mit Gemeinschaftsordnung auch eine Zweckbestimmung zur ausschließlichen Wohnnutzung getroffen. Eine der Wohnungseigentümerinnen betreibt in ihrer Wohnung mit einer Mitarbeiterin ein Übersetzungsbüro.

Vorliegend ist als Zweckbestimmung des Wohnungseigentums eine Wohnnutzung vorgesehen. Wenn der vom Wohnungseigentümer praktizierte Gebrauch der Zweckbestimmung widerspricht, begründet dies also allein noch keinen Unterlassungsanspruch, sondern die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und konkret beeinträchtigte Wohnungseigentümer können nur dann Unterlassung des zweckbestimmungswidrigen Gebrauchs verlangen, wenn dieser mehr stört als der zweckbestimmungsgemäße Gebrauch.[2] Ob dies der Fall ist, wird anhand einer typisierenden generellen Betrachtungsweise beurteilt, wobei Beeinträchtigungen weder vorgetragen noch nachgewiesen werden müssen.[3] Unerheblich ist demnach, ob die Wohnungseigentümer tatsächlich Störungen ausgesetzt sind, die bei zweckbestimmungsgemäßer Nutzung des Sondereigentums nicht vorlägen, wobei gleichwohl bei typisierender Betrachtungsweise die konkreten Umstände des Einzelfalls nicht außer Betracht bleiben dürfen. Es müssen daher die typischen Beeinträchtigungen der zweckbestimmungswidrigen Nutzung nach den örtlichen Verhältnissen und dem Charakter der Anlage mit den typischen Beeinträchtigungen einer nach der Teilungserklärung zulässigen Nutzung verglichen werden.

Dies zugrunde gelegt, führt die typisierende Betrachtungsweise im Beispiel oben zur Beurteilung, dass die Nutzung der Wohnung sogar weniger beeinträchtigend ist als eine normale Wohnnutzung. Die Wohnnutzung ist nämlich dadurch geprägt, dass in Wohnungen in aller Regel Familien leben, die Besuch empfangen, die ihren Hobbys (wie z. B. dem Musizieren) nachgehen und in denen Kinder leben, die ihrem Spiel-, Begeisterungs- und durchaus auch Frustpotenzial nachgeben und somit "bemerkbar" einen gewissen Geräuschpegel verursachen können. Im Fall konzentrierten Übersetzens von Büchern oder anderen Dokumenten dürfte jegliche Geräusch- oder gar Lärmquelle in der Wohnung für die Nutzer selbst einen unangenehmen Störfaktor darstellen.

 
Praxis-Beispiel

Intensivpflege-WG in "Büro"

In der in der Teilungserklärung mit "Büroetage" bezeichneten Teileigentumseinheit betreibt die Eigentümerin eine Einrichtung der Intensivpflege und Beatmung in Form einer Wohngemeinschaft mit Pflegekräften. Bei den 9 weiteren Sondereigentumseinheiten handelt es sich ausschließlich um Wohnungen.

Bei typisierender Betrachtungsweise gehen von einem Büro im Allgemeinen weniger Belästigungen aus als von einer Einrichtung der stationären Intensiv- und Beatmungspflege. Unter einem "Büro" ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zunächst ein Arbeitsraum, in welchem im Wesentlichen schriftliche Arbeiten erbracht werden, zu verstehen. Einen großen Anteil der Tätigkeiten nehmen zusätzlich Telefonate, Diktate und geschäftliche Besprechungen ein. Auch einem Bürobetrieb ist zudem ein Publikumsverkehr nicht wesensfremd. Von der betriebenen Einrichtung der stationären Intensiv- und Beatmungspflege gehen insoweit stärkere Beeinträchtigungen aus.

Dies gilt bereits für den zeitlichen Umfang der Belästigungen. So wird ein Büro typischerweise lediglich tagsüber während festgelegter Öffnungszeiten genutzt, während sich in der betriebenen Wohngemeinschaft ganztägig und auch am Wochenende mehrere Patienten sowie stets auch Pflegekräfte aufhalten. Zudem finden Besuche von Logopäden und Physiotherapeuten statt.

Weiterhin ist bei typisierender Betrachtungsweise bei einer Einrichtung der Intensiv- und Beatmungspflege auch in den Nachtstunden von einem gegenüber einem Büro erhöhten Auftreten von Notarzt- und Rettungswagen-Einsätzen auszugehen.

 

Konkrete Störungen sind nicht erforderlich

Das Beispiel zeigt, dass bei typisierender Betrachtungsweise auf die typisch mit einer konkreten Nutzung einhergehenden Beeinträchtigungen abgestellt wird. Ob diese im konkreten Fall dann tatsächlich (bereits einmal) eingetreten sind, ist nicht entscheidend. Allein entscheidend ist, dass es zu bestimmten Beeinträchtigungen bzw. Störungen kommen kann.

Individuelles Gepräge der Wohnanlage

Bei der typisierenden Betrachtungsweise wird auch stets das individuelle Gepräge der jeweiligen Wohnanlage in den Blick genommen.[4] Insoweit ist im Beispiel zu berücksichtigen, dass der Charakter der relativ kleinen Wohnungseigentumsanlage, die insgesamt nu...

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