BGH folgt der großzügigen Linie des LG nicht

Das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht (§ 36 Abs. 4 InsO) kann dem Schuldner nach § 36 Abs. 1 S. 2 InsO, § 850f Abs. 1 Buchst. b ZPO auf Antrag von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d und 850i ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn besondere Bedürfnisse des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen dies erfordern und überwiegende Belange der Gläubiger nicht entgegenstehen. Die danach erforderliche Abwägung zwischen den Gläubiger- und Schuldnerbelangen hat das LG nicht ordnungsgemäß vorgenommen.

Nicht präzise gearbeitet

Die Entscheidung leidet schon daran, dass das LG im Entscheidungsausspruch den Pfändungsfreibetrag über die dem Schuldner bereits durch das Insolvenzgericht zugesprochene Erhöhung um 150 EUR hinaus lediglich um weitere 463,03 EUR monatlich erhöht hat, obwohl es ausweislich der Entscheidungsgründe von zu berücksichtigenden Mehrkosten in Höhe von (192 EUR + 230 EUR + 20 EUR + 83,09 EUR =) 525,09 EUR monatlich ausgegangen ist. Dem Beschluss ist nicht zu entnehmen, ob es sich insoweit um einen nach § 319 ZPO zu berichtigenden Rechenfehler handelt oder ob das LG im Rahmen einer Gesamtabwägung der Schuldner- und Gläubigerbelange Kürzungen vorgenommen hat. Das LG hat in seiner Abwägung der Belange von Schuldner und Gläubigern u.a. auch berücksichtigt, dass diesen ein pfändbarer Betrag von monatlich rund 270 EUR verbleibe. Diese Überlegung trifft aber nicht zu, wenn der Pfändungsfreibetrag tatsächlich um 525,09 EUR erhöht würde. Dann verblieben den Gläubigern nach der Berechnung des Beschwerdegerichts nur noch 207,94 EUR.

LG verkennt Notwendigkeit der Gesamtabwägung

Im Übrigen hat das LG im Rahmen seiner Abwägung der Schuldner- und Gläubigerinteressen ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass die Heraufsetzung des Pfändungsfreibetrages die Existenz der fünf Gläubiger, die Forderungen zur Tabelle angemeldet hätten, gefährde. Damit hat es die bei der nach § 850f Abs. 1 ZPO gebotenen Abwägung zu berücksichtigenden Interessen verkannt und zu Unrecht dem Einzelinteresse der Gläubiger eine maßgebliche Bedeutung beigelegt.

Unterschied zwischen Insolvenz und Einzelvollstreckung

Zu § 850i Abs. 1 S. 3 ZPO und § 850b Abs. 2 ZPO hat der BGH entschieden, dass im Unterschied zur Einzelvollstreckung, in welcher die Einzelinteressen der vollstreckenden Gläubiger Berücksichtigung finden sollen, im Insolvenzverfahren eine solche Abwägung zugunsten einzelner Gläubiger ausgeschlossen ist. Es bedarf vielmehr einer wertenden Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, ob und ggf. in welchem Umfang die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO unter Abwägung der Belange von Schuldner und Gläubiger zur Anwendung kommen. Abgewogen werden die Interessen des Schuldners gegen das Gesamtinteresse der Gläubiger (vgl. für § 850i ZPO: BGH NZI 2014, 773 Rn 14; BGH NZI 2017, 461 Rn 18; für § 850b ZPO: BGH NZI 2010, 141 Rn 14). Entsprechendes gilt im Rahmen eines Insolvenzverfahrens für die Abwägung nach § 850f Abs. 1 ZPO. Auch hier können nicht die Einzelinteressen der Gläubiger, sondern allein das Gesamtinteresse der Gläubiger gegen die Interessen des Schuldners abgewogen werden (vgl. zu den maßgeblichen Abwägungskriterien für den Fall der Einzelvollstreckung: BGH NJW 2004, 2450, 2452; BGH WM 2005, 1185, 1187; BGH WM 2008, 450 Rn 21).

Enteignung der Gläubiger als starkes Argument

Im Rahmen der Abwägung ist im Insolvenzverfahren auf Seiten der Gläubigergesamtheit zu berücksichtigen, dass in den Fällen, in denen der Schuldner Restschuldbefreiung beantragt hat, die Gläubiger nach drei, fünf oder sechs Jahren (§ 287 Abs. 2, § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 InsO) ihre Forderungen gegen den Schuldner nicht mehr durchsetzen können (§§ 286, 301 InsO). Ebenso kann berücksichtigt werden, inwieweit der Schuldner Pflichten und Obliegenheiten im Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren aus §§ 97, 290, 295 InsO nachkommt. Auch ist in die Abwägung die Höhe der zu erwartenden Quote (§§ 187 ff. InsO) einzubeziehen. Auf der anderen Seite sind die Höhe der Einkünfte, insbesondere die Höhe des dem Schuldner verbleibenden Betrages, seine wirtschaftliche und gesundheitliche Situation und sein Lebensstil in die Abwägung einzustellen.

Umfang der tatsächlichen Pflichterfüllung ist auch maßgeblich

In die Abwägung können weitere Erwägungen einfließen, etwa der Umstand, dass ein Schuldner tatsächlich weniger Unterhalt leistet, als der Freibetrag wegen der Unterhaltsgewährung erhöht wird (§ 850c Abs. 1 S. 2 ZPO; im Jahr 2016 Erhöhung um 404,16 EUR statt geschuldeter 233 EUR), oder ein Schuldner deutlich weniger Miete zahlt, als in die Pfändungsfreibeträge des § 850c Abs. 1 ZPO eingeflossen ist (vgl. Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 9. Aufl., § 850f Rn 23), und deswegen ein Mehrbedarf ausgeglichen wird. Eine solche umfassende Abwägung hat das LG nicht vorgenommen. Insbesondere hat es nicht erwogen, dass die Gläubiger die Gefahr tragen, mit Ablauf der Treuhandperiode ihre...

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