BGH folgt dem LG und "begradigt" die Entscheidung

Das LG geht zutreffend davon aus, dass sich die auf Antrag der Schuldnerin erfolgte Anordnung des Vollstreckungsgerichts, im Hinblick auf die auf dem Pfändungsschutzkonto der Schuldnerin eingegangene Nachzahlung in Höhe von 5.584,16 EUR einen erhöhten pfändungsfreien Betrag nach § 850k Abs. 4 Satz 1 ZPO festzusetzen, als rechts- und ermessensfehlerfrei darstellt. Die "Freigabe" dieses Betrags durch das Vollstreckungsgericht ist als Festsetzung eines (weiteren) pfändungsfreien Betrags gemäß § 850k Abs. 4 Satz 1 ZPO auszulegen.

Anwendbare Vorschriften

Nach § 850k Abs. 4 Satz 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag einen von § 850k Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Abs. 3 ZPO abweichenden pfändungsfreien Betrag festsetzen. Gemäß § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO ist dabei § 54 Abs. 4 SGB I entsprechend anzuwenden, der bestimmt, dass Ansprüche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden können. § 54 Abs. 4 SGB I ist anwendbar (vgl. BGH MDR 2013, 57), da die hier in Rede stehende Nachzahlung einen Zeitraum vor Inkrafttreten des § 42 Abs. 4 SGB II (in der ab 1.8.2016 geltenden Fassung) betrifft, der in seinem Anwendungsbereich § 54 Abs. 4 SGB I verdrängt (vgl. hierzu BGH, 24.1.2018 – VII ZB 27/17).

Zurechnung der Nachzahlung

Die Nachzahlung an die Schuldnerin für die Monate März bis November 2015 ist für die Bemessung des pfandfreien Betrags für Arbeitseinkommen gemäß § 850c ZPO jeweils dem monatlichen Leistungszeitraum zuzurechnen, für den sie gezahlt wurde (BGH MDR 2013, 57). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des entsprechend anwendbaren § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO, wonach die Pfändungsfreigrenzen jeweils für den Zeitraum gelten, für den Arbeitseinkommen gezahlt wird. Zu Recht nimmt das Beschwerdegericht an, dass durch diese Art der Berechnung des gemäß § 850k Abs. 4 S. 1 ZPO dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Betrags auch dem aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG folgenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums Rechnung getragen wird.

Die Zweckrichtung der Leistung muss gesehen werden

Der Auffassung der Gläubigerin, zur Beurteilung der Frage, ob die Sicherung des Existenzminimums des Schuldners gewährleistet sei, seien zurückliegende Zeiträume nicht in die Betrachtung einzubeziehen, ist nicht zu folgen. Der Senat hat mit Beschluss vom heutigen Tag entschieden, dass der sozialrechtliche Aktualitätsgrundsatz ("in praeteritum non vivitur") im Falle der Gewährung von Leistungen für zurückliegende Zeiträume nicht zu rechtfertigen vermag, den Leistungsempfänger als vermindert schutzwürdig anzusehen und ihm bezüglich der gewährten Leistungen Pfändungsschutz auf dem Pfändungsschutzkonto vorzuenthalten. Denn der fehlende Pfändungsschutz auf dem Pfändungsschutzkonto hätte zur Folge, dass die Leistungen im Ergebnis nicht dem Leistungsempfänger, sondern seinen Gläubigern zugutekämen. Das aber widerspräche dem Zweck der Leistungen. Lebensunterhaltsleistungen nach dem SGB II, insbesondere Arbeitslosengeld II und Sozialgeld, dienen der Sicherung des Existenzminimums und sollen daher bei den leistungsberechtigten Personen verbleiben (BGH, 24.1.2018 – VII ZB 27/17).

Zugeordnete Nachzahlungen überschreiten Pfändungsfreibeträge nicht

Die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 850k Abs. 4 ZPO liegen vor. Nach den von der Gläubigerin nicht angegriffenen Feststellungen des LG handelt es sich bei der auf dem Pfändungsschutzkonto der Schuldnerin eingegangenen Zahlung in Höhe von 5.584,16 EUR um eine Nachzahlung für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Monate März bis November 2015. Da die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO für diese Monate infolge der Nachzahlung nicht überschritten werden, wie das LG festgestellt hat, war zugunsten der Schuldnerin auf ihren Antrag der Nachzahlungsbetrag in Höhe von 5.584,16 EUR gemäß § 850k Abs. 4 S. 1 ZPO insgesamt als pfändungsfreier Betrag festzusetzen.

Art. 14 GG steht in Konkurrenz zu Art. 120 GG

Der von dem Gläubiger vorgebrachte Umstand, er werde in der Wahrnehmung seiner gemeinnützigen Aufgaben beeinträchtigt, wenn ihm die Möglichkeit genommen werde, seine begründete Forderung gegen die Schuldnerin im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen, greift nicht durch. Denn das nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Recht des Gläubigers an der Durchsetzung einer titulierten Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung (vgl. BVerfG NJW-RR 2010, 1063, 1064; BVerfGE 116, 1, 13) findet seine Grenze in dem durch Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG geschützten Anspruch des Schuldners auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, der durch die Pfändungsschutzbestimmungen in § 850k Abs. 4 ZPO, § 54 Abs. 4 SGB I, § 850c ZPO verfassungskonform ausgestaltet worden ist.

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