Leitsatz

1. Eine Vollstreckung ist trotz Vorlage urkundlicher Nachweise im Sinne des § 775 Nr. 4 ZPO fortzusetzen, wenn der Gläubiger eine Befriedigung oder die Stundung der titulierten Forderung bestreitet.

2. Der Schuldner muss in diesem Fall seine materiell-rechtlichen Einwendungen mit der Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO geltend machen.

BGH, 15.10.2015 – V ZB 62/15

1 I. Der Fall

Gläubiger vollstreckt, SU behauptet Erfüllung

Auf die Immobiliarzwangsvollstreckung der Gläubigerin beantragt der Schuldner die Einstellung des Verfahrens und behauptet unter Vorlage eines an seinen Vater gerichteten Schreibens der Gläubigerin, die Vollstreckungsforderung sei durch Zahlung abgelöst worden. In dem Schreiben bestätigt die Gläubigerin den Eingang eines Ablösebetrages in Höhe von 28.081,65 EUR und teilt mit, weitere Ansprüche aus diesem Engagement würden nicht mehr geltend gemacht. Die Gläubigerin ist dem Einstellungsantrag entgegengetreten und beruft sich auf ein weiteres Schreiben, in dem sie erklärt, dass bei der Zuordnung der Zahlung eine Namensverwechslung aufgetreten sei und die Forderung nach wie vor bestehe. Während das AG die Vollstreckung nach § 775 Nr. 5 ZPO einstweilen eingestellt hat, wies das LG den Antrag zurück.

2 II. Die Entscheidung

Zu prüfen ist allein § 775 Nr. 4 ZPO

Das LG beschränkt sich zu Recht darauf, die Voraussetzungen des § 775 Nr. 4 ZPO zu prüfen. Ob die titulierte Forderung aufgrund der von dem Schuldner behaupteten Erfüllung tatsächlich erloschen ist, ist nicht von dem Vollstreckungsorgan und damit auch nicht von den im Rechtsmittelzug mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Vollstreckungsorgans befassten Gerichten zu entscheiden.

 

Hinweis

Dass der BGH für die Vorschrift des § 887 ZPO die Kompetenz des Vollstreckungsorgans, den Erfüllungseinwand des Schuldners zu prüfen, bejaht hat (BGH NJW 2005, 367), beruht auf den Besonderheiten einer solchen Zwangsvollstreckung, für die das Prozessgericht zuständig ist. Dies lässt sich auf die Zwangsvollstreckung des Gläubigers durch das Vollstreckungsgericht im Rahmen einer Zwangsversteigerung nicht übertragen.

§ 775 ZPO gilt auch in der Zwangsversteigerung

Nach § 775 Nr. 4 ZPO ist die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen, wenn eine öffentliche Urkunde oder eine von dem Gläubiger ausgestellte Privaturkunde vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass der Gläubiger nach Erlass des zu vollstreckenden Urteils befriedigt ist oder Stundung bewilligt hat. Das gilt vor dem Versteigerungstermin, für den § 75 ZVG eine parallele, allerdings auf Zahlungen an das Gericht beschränkte Regelung trifft, auch im Zwangsversteigerungsverfahren (BGHZ 172, 37).

Aber seine Voraussetzungen liegen nicht vor

Die Voraussetzungen für eine Einstellung gemäß § 775 Nr. 4 ZPO liegen nach der Auffassung des BGH aber nicht vor.

Es ist davon auszugehen, dass das erste Schreiben der Gläubigerin eine Privaturkunde darstellt, aus der sich die Befriedigung der Gläubigerin ergibt.
Eine Vollstreckung ist jedoch trotz Vorlage urkundlicher Nachweise im Sinne des § 775 Nr. 4 ZPO fortzusetzen, wenn der Gläubiger eine Befriedigung oder Stundung bestreitet.

Gläubiger kann Fortsetzung der ZV erzwingen

In der Literatur ist anerkannt, dass der Gläubiger in den Fällen des § 775 Nr. 4 und 5 ZPO durch das Bestreiten der Befriedigung oder Stundung die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung erzwingen kann und der Schuldner den Erfüllungseinwand dann im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO geltend machen muss (vgl. MüKo-ZPO/K. Schmidt/Brinkmann, 4. Aufl., § 775 Rn 28; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 775 Rn 41; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 775 Rn 12; Musielak/Voit/Lackmann, 12. Aufl., § 775 Rn 13; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 30. Aufl., § 775 Rn 17; Schuschke/Walker/Raebel, 5. Aufl., § 775 ZPO Rn 13). Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm DGVZ 1980, 153 und MDR 1977, 411; LG Karlsruhe DGVZ 1983, 188; LG Berlin MDR 1976, 149; AG Hannover DGVZ 2010, 42; LG Weiden DGVZ 2010, 235; AG Wuppertal DGVZ 2012, 226; a.A. AG Groß-Gerau MDR 1982, 943, LG Mannheim MDR 1967, 222). Dem folgt auch der BGH.

Faktisches Zustimmungserfordernis zur Einstellung

Der Wortlaut des § 775 Nr. 4 und 5 ZPO steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Der Vorschrift wird nicht das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal hinzugefügt, dass die Einstellung nur mit Zustimmung des Gläubigers geschehen dürfe. Wenn einem Vollstreckungsorgan Urkunden im Sinne der Vorschrift vorgelegt werden, hat es die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob eine einmal ausgesprochene Einstellung wieder aufzuheben ist, wenn der Gläubiger die durch die Urkunden belegte Befriedigung bestreitet und die Fortsetzung der Vollstreckung begehrt. Entscheidend für eine entsprechende Befugnis des Gläubigers sprechen Sinn und Zweck der Vorschrift sowie ihre Entstehungsgeschichte.

§ 775 ZPO dient (nur) der Verfahrenserleichterung

Dass in den Fällen des § 775 Nr. 4 oder 5 ZPO die Zwangs...

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