Leitsatz

1. Da dem Schuldner im Anwendungsbereich des § 850f Abs. 2 Hs. 2 ZPO dasjenige belassen werden soll, was er zur Deckung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums im Sinne des SGB XII benötigt, sind die dort für die Anrechnung von Einkommen und geldwerten Vorteilen maßgebenden Grundsätze auch bei der Ermittlung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrages zu berücksichtigen.

2. Das Vollstreckungsgericht hat zu prüfen, ob der notwendige Bedarf des Schuldners ganz oder teilweise durch weitere Einnahmen oder geldwerte Naturalleistungen tatsächlich gedeckt ist. Im Umfang der anderweitigen Deckung ist der Freibetrag, der dem Schuldner aus seinem gepfändeten Arbeitseinkommen zu belassen ist, herabzusetzen.

3. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten muss das Vollstreckungsgericht ohne Rücksicht auf gesetzliche Unterhaltsansprüche wegen der aus § 19 Abs. 1 SGB XII (2003), § 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1, Abs. 2 SGB XII folgenden Wertentscheidung auch die Einkünfte des Ehegatten in die Prüfung der Bedarfsdeckung mit einbeziehen.

BGH, 25.10.2012 – VII ZB 12/10

1 I. Der Fall

Vollstreckung aus Teil-VU wegen vorsätzlich unerlaubter Handlung

Die Gläubiger betreiben gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Teilversäumnisurteil sowie aus einem in gleicher Sache ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss. Die titulierte Forderung beruht auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Schuldners. Der Schuldner ist verheiratet und seine Ehefrau, von der er nicht getrennt lebt, verfügt über eigene monatliche Einkünfte in Höhe von 2.300 EUR netto. Er selbst bezieht eine monatliche Altersrente in Höhe von 207,02 EUR und von der Drittschuldnerin eine monatliche Unfallrente in Höhe von 527,36 EUR.

PfÜB zur Alters- und Unfallrente umstritten

Auf Antrag der Gläubiger hat das Vollstreckungsgericht die Rentenforderungen gepfändet und den Gläubigern zur Einziehung überwiesen. Auf die Erinnerung des Schuldners hat das AG angeordnet, dass die Unfallrente pfandfrei bleibt. Auf die sofortigen Beschwerden der Gläubiger hat das LG angeordnet, dass dem Schuldner aus der bei der Drittschuldnerin gepfändeten Forderung ein monatlicher Betrag von 177,01 EUR zu belassen sei. Eine weitergehende Pfändung der Unfallrente im Hinblick auf die monatlichen Nettoeinkünfte der Ehefrau des Schuldners und die seitens der Gläubiger behauptete Möglichkeit, ihr gegenüber Unterhaltsansprüche geltend zu machen, hat das Beschwerdegericht abgelehnt.

2 II. Die Entscheidung

Das LG lässt dem SU zu viel

Das LG geht davon aus, dass die Forderung des Schuldners gegen die Drittschuldnerin gemäß § 850b Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften gepfändet werden kann. Dagegen ist nichts zu erinnern. Unzutreffend ist allerdings die Auffassung des LG, dem Schuldner müssten monatlich 177,01 EUR von der gegenüber der Drittschuldnerin bestehenden Forderung pfändungsfrei verbleiben, weil sonst sein notwendiger Unterhalt nicht gesichert sei. Für eine dahingehende Annahme reichen die getroffenen Feststellungen nicht aus.

Pfändungsfreigrenzentabelle gilt nicht

Betreibt der Gläubiger die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, zu der auch der Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten gehört (BGH NJW-RR 2011, 791 = FoVo 2011, 134), darf er nach § 850f Abs. 2 Hs. 1 ZPO in einem gegenüber der Vorschrift des § 850c ZPO erweiterten Umfang auf das Arbeitseinkommen des Schuldners zugreifen. Diesem ist jedoch so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen eigenen Unterhalt und zur Erfüllung laufender gesetzlicher Unterhaltspflichten benötigt, § 850f Abs. 2 Hs. 2 ZPO.

Gesichert wird das Existenzminimum

Die Regelung in § 850f Abs. 2 Hs. 2 ZPO ist Bestandteil der Vorschriften über den Pfändungsschutz bei Arbeitseinkommen. Sie dient als Ausdruck des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 GG) auch dem Zweck, dem Schuldner ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Darüber hinaus soll im öffentlichen Interesse verhindert werden, dass dem Schuldner durch Vollstreckungsmaßnahmen das Existenzminimum genommen wird mit der Folge, dass das Fehlende durch Sozialhilfe ersetzt und die Forderung des Gläubigers letztlich von der Allgemeinheit aus Steuermitteln bedient werden müsste. Durch den dem Schuldner nach § 850f Abs. 2 Hs. 2 ZPO zu belassenden Freibetrag ist dieser davor geschützt, dass sein verbleibendes Resteinkommen unter den Sozialhilfebedarf absinkt.

SU behält nur den notwendigen Unterhalt …

Aus § 850f Abs. 2 Hs. 2 ZPO ergibt sich nicht, wie hoch der dem Schuldner pfandfrei verbleibende Betrag ist. Maßgebend ist, wie viel der Schuldner für seinen notwendigen Unterhalt benötigt. Der Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850f Abs. 2 Hs. 2 ZPO stimmt mit demjenigen in § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO überein (BGH NJW-RR 2011, 706; BGH FoVo 2011, 55). Für den Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der BGH entschieden, dass dieser grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. und 11. Kapitels des...

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