Leitsatz

Bezieht der Schuldner eine Altersrente und ist er daneben zur Aufbesserung der Rente selbstständig tätig, können auf seinen Antrag seine Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit als Mehrarbeitsvergütung bis zur Hälfte pfandfrei gestellt werden.

BGH, 26.6.2014 – IX ZB 87/13

1 I. Der Fall

Diverse Renten und freiwillige Tätigkeit

Der im Jahr 1941 geborene Schuldner war bis Januar 2010 als Anwalt und Notar tätig. Er bezieht nach Aufgabe dieser Tätigkeit sowohl eine gesetzliche Rente wie auch Versorgungsbezüge aus der Anwaltsversorgung und eine Rente aus einem privaten Versicherungsvertrag, insgesamt monatlich 1.147,12 EUR. Auf Eigenantrag wurde das Insolvenzverfahren über sein Vermögen am 18.4.2011 eröffnet. Der Schuldner ist nunmehr als Unternehmensberater freiberuflich tätig.

Hälftige Freistellung der überobligatorischen Tätigkeit?

Er hat beantragt, wegen der anfallenden Kranken-, Unfall- und Haftpflichtversicherung sowie der voraussichtlich anfallenden Betriebsausgaben und Steuervorauszahlungen ihm monatlich 2.191,67 EUR, vierteljährlich 6.575 EUR, und zusätzlich monatlich 300 EUR, vierteljährlich 900 EUR, wegen seiner überobligatorischen Anstrengungen pfandfrei zu belassen. Weiter hat er unter Verweis auf § 850a Nr. 1 ZPO beantragt, die Hälfte des infolge der Mehrarbeit erzielten Einkommens unpfändbar zu stellen. Das Insolvenzgericht hat angeordnet, dem Schuldner seien von den nachgewiesenen Einkünften aus seiner selbstständigen Tätigkeit die zur Deckung der nachgewiesenen berufsbedingten Ausgaben erforderlichen Beträge pfandfrei zu belassen, maximal 7.454 EUR für das Quartal, einschließlich einer monatlichen Zusatzvergütung von 300 EUR. Eine Anwendung von § 850a Nr. 1 ZPO hat es abgelehnt.

2 II. Die Entscheidung

§ 850a ZPO gilt über § 850i ZPO

Einkünfte, die ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt, gehören in vollem Umfang, ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben, zur Insolvenzmasse. Der Schuldner kann nur gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO beantragen, dass ihm von seinen durch Vergütungsansprüche gegen Dritte erzielten Einkünften ein pfandfreier Betrag belassen wird (BGH NJW 2003, 2167; BGH ZInsO 2011, 1412). Dem Schuldner ist auf Antrag (neben den Betriebsausgaben) so viel zu belassen, wie er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt benötigt, aber nicht mehr, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Arbeitseinkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Hiermit verweist § 850i Abs. 1 ZPO auf die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO (BGH FamRZ 2008, 2021), insbesondere auch auf § 850a ZPO. Danach setzt das Vollstreckungsgericht den dem Schuldner zu belassenden Betrag unter Beachtung der §§ 850a ff. ZPO individuell fest.

Privilegierte Mehrarbeit oder profitierender Gläubiger?

Nach § 850a Nr. 1 ZPO sind die für die Leistung von Mehrarbeitsstunden gezahlten Teile des Arbeitseinkommens zur Hälfte unpfändbar. Grund dieser Regelung ist, dem Schuldner einen Anreiz zu geben, Mehrarbeit zu erbringen und dadurch zugunsten der Gläubiger Mehreinnahmen zu erwirtschaften. Mehrarbeit ist jede Arbeit, die über den üblichen Umfang hinaus geleistet wird, etwa in Form von Überstunden und Sonntagsarbeit, aber auch erlaubte regelmäßige Tätigkeiten bei einem weiteren Arbeitgeber. Maßstab sind die normalen Arbeitszeiten des Betriebs, die im Tarifvertrag, im Arbeitsvertrag oder in der Dienstordnung festgeschriebene Vollbeschäftigungszeit. § 850a Nr. 1 ZPO greift nur ein, wenn die zeitlich geleistete Mehrarbeit durch einen als solchen ausgewiesenen oder ausweisbaren zusätzlichen Bezug des Schuldners neben dem üblichen Lohn entgolten ist. Deswegen werden etwa Mehrarbeitsleistungen von Beamten, soweit nicht eine Vergütung nach § 88 Satz 4 BBG in Verbindung mit § 48 BBesG und der Bundesmehrarbeitsverordnung gezahlt wird, und nicht gesondert entgoltene Überstunden von Angestellten nicht erfasst. Auch wenn der Schuldner die geleistete Mehrarbeit durch Inanspruchnahme von Freizeit ausgleicht, greift § 850a Nr. 1 ZPO nicht ein.

§ 850a ZPO gilt (eigentlich) bei Selbstständigen nicht

Diese tatbestandlichen Voraussetzungen des § 850a Nr. 1 ZPO liegen bei einem Selbstständigen regelmäßig nicht vor. Dessen Arbeitszeit ist weder durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag, Dienstordnung oder auf sonstige Weise geregelt; deswegen lässt sich ein üblicher Umfang seiner Arbeit nicht bestimmen. Ebenso wenig wird eine zeitlich geleistete Mehrarbeit durch als solche ausgewiesene oder ausweisbare zusätzliche Einnahmen des Schuldners entgolten.

Sonderfall Rentner …

Etwas anderes gilt vorliegend aber deswegen, weil der Schuldner aufgrund seines Alters – zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung war er 70 Jahre alt – nicht mehr erwerbspflichtig ist und diverse Renten in einer Höhe bezieht, die – wenn auch nur leicht – über dem Pfändungsfreibetrag liegt. Somit ist sein Unterhaltsbedarf durch diese Leistungen gesichert. Auf ihn findet die Schutzvorschrift des § 850a Nr...

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