Der Begriff der „Bezüge aus einem Dienstverhältnis“ umfasst auch eine anlässlich der Beendigung eines Arbeitsvertrages gezahlte Abfindung.

BGH, 11.5.2010– IX ZR 139/09

I. Der Fall

Streit zwischen Insolvenzverwalter und Abtretungsgläubiger

Der Beklagte ist Treuhänder in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Die Klägerin gewährte dem Schuldner in den Jahren 2003 und 2004 zwei Darlehen in Höhe von 22.397,22 EUR und 7.977,30 EUR. Als Sicherheit ließ sie sich jeweils „den der Pfändung unterworfenen Teil aller seiner gegenwärtigen und künftigen Ansprüche auf Arbeitsentgelt jeder Art einschließlich Pensionsansprüche, Provisionsforderungen, Tantiemen, Gewinnbeteiligung sowie Abfindungen gegen seinen jeweiligen Arbeitgeber und auf Sozialleistungen“ abtreten.

Zugriff auf hinterlegte Abfindung anlässlich der Kündigung

Am 18.7.2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Am 31.3.2006 endete das Arbeitsverhältnis des Schuldners. Der Schuldner erhielt eine Abfindung in Höhe von 17.529,36 EUR. Nachdem sowohl die Klägerin als auch der Beklagte Auszahlung dieses Betrages verlangt hatten, hinterlegte der Arbeitgeber des Schuldners die Abfindung zugunsten der Parteien unter Verzicht auf die Rücknahme. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin die Freigabe des hinterlegten Betrages. Das LG hat die Klage abgewiesen; das OLG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Der Beklagte will weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.

II. Die Entscheidung

BGH gibt dem Gläubiger Recht

Nach § 114 Abs. 1 InsO ist eine Verfügung über „Bezüge aus einem Dienstverhältnis“ (so die amtliche Überschrift) wirksam, soweit sie sich auf die Bezüge für die Zeit vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende des zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonats bezieht. Die Vorschrift erfasst „Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge“. Eine (einmalige) Abfindung, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt wird, unterfällt dem Begriff der „Bezüge aus einem Dienstverhältnis“. Das Gesetz unterscheidet zwischen den „Bezügen aus einem Dienstverhältnis“ einerseits und den an deren Stelle tretenden „laufenden“ Bezügen andererseits. Bei den Bezügen aus einem Dienstverhältnis muss es sich danach nicht um „laufende“ Bezüge handeln. Vielfach wird daher angenommen, dass Abfindungen und andere nicht regelmäßig gezahlte Bezüge – etwa der Lohn aus einer Aushilfstätigkeit – von § 114 Abs. 1 InsO erfasst werden (MünchKomm-InsO/Löwisch/Caspers, 2. Aufl., § 114 Rn 11; Graf-Schlicker/Pöhlmann, 2. Aufl., § 114 Rn 8; Uhlenbruck/Berscheid/Ries, InsO, 13. Aufl., § 114 Rn 10). Gesetzgebungsgeschichte und Systematik des Gesetzes bieten einen weniger eindeutigen Befund, stehen einer dem Wortlaut der Vorschrift entsprechenden Auslegung aber nicht entgegen.

Abfindungen gehören zum Arbeitseinkommen

Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG gehören zum „Arbeitseinkommen“ im Sinne von § 850 ZPO. Das folgt insbesondere aus der Vorschrift des § 850i ZPO, die den Pfändungsschutz für nicht wiederkehrend zahlbare Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten und Dienste regelt, und wird – soweit ersichtlich – nirgends in Zweifel gezogen (vgl. etwa Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 29. Aufl., § 850 Rn 6a; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, § 850 Rn 20, § 850i Rn 4 ff., 8). Zu der Vorschrift des § 287 Abs. 2 S. 1 InsO hat das OLG zutreffend ausgeführt, dass die einmalige Abfindung anlässlich des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis von der Abtretung der „Bezüge aus einem Dienstverhältnis“ erfasst wird, weil ansonsten die während der Wohlverhaltensphase vorgesehene Bedienung der Gläubiger aus den pfändbaren Arbeitseinkünften des Schuldners leicht zu umgehen wäre.

Aber: Unterschiede zwischen Insolvenz und Einzelvollstreckung beachten

In den Jahren seit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung hat sich allerdings gezeigt, dass sich die ursprüngliche Konzeption des Regierungsentwurfs in den Grundzügen, nicht aber in jeder Einzelheit durchhalten lässt. Die Anwendungsbereiche der genannten Vorschriften der InsO (§ 81 Abs. 2 S. 1, § 89 Abs. 2 S. 1, § 114 Abs. 1, § 287 Abs. 2 S. 1 InsO) und der ZPO (§§ 850 ff. ZPO) sind nicht vollständig deckungsgleich. So stellen Ansprüche eines Kassenarztes gegen die kassenärztliche Vereinigung „Arbeitseinkommen“ im Sinne von § 850 Abs. 2 ZPO dar (BGHZ 96, 324), nicht jedoch „Bezüge aus einem Dienstverhältnis“ im Sinne von § 114 Abs. 1 InsO (BGHZ 167, 363). § 850 ZPO sichert dem Schuldner einen der Pfändung entzogenen Anteil an Vergütungen für Dienstleistungen, die seine Existenzgrundlage bilden, weil sie seine Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen; § 114 Abs. 1 InsO, der von vornherein nur pfändbares Einkommen betrifft, regelt, ob und in welchem Umfang Vergütungsansprüche des Schuldners dem Abtretungsempfänger oder aber der Gesamtheit der Gläubiger zugute kommen. Aber auch soweit der Begriff der „Bezüge aus einem Dienstverhältnis“ in V...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge