Die Praxis lässt Abschriften genügen

Es handelt sich um eine Nebenentscheidung des BGH mit erheblicher Sprengkraft für die Praxis. Die Frage, ob jedem Vollstreckungsantrag eine Originalvollmacht beizufügen ist, wird tatsächlich nur vereinzelt von den Vollstreckungsorganen aufgeworfen. Wie im Erkenntnisverfahren, wo sich das Gericht so lange mit Abschriften begnügt, bis deren Übereinstimmung mit dem Original bestritten wird, genügt auch den Vollstreckungsorganen grundsätzlich eine Kopie.

Ausgangspunkt ist § 88 Abs. 2 ZPO

Nach § 88 Abs. 2 ZPO hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Es handelt sich um eine Vorschrift des Allgemeinen Teils der Zivilprozessordnung, so dass sie grundsätzlich auch in der Zwangsvollstreckung anzuwenden ist. An die Stelle des "Gerichts" tritt das Vollstreckungsorgan.

Wortlaut verlangt kein Original

§ 88 Abs. 2 ZPO sagt nichts darüber aus, wie die Prüfung zu erfolgen hat, insbesondere verlangt der Wortlaut der Norm nicht, dass das Original der Vollmacht vorgelegt wird. Gerade bei der Beauftragung in einer Vielzahl von Fällen wäre dies für den Gläubiger mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden. Auch bei einer Generalvollmacht, die in vielen Fällen eingesetzt wird, müssten dann immer eine Vielzahl von Originalen geschaffen werden.

Grundsätzlich kann deshalb auch eine zweistufige Prüfung erfolgen:

Auf der ersten Stufe wird eine Abschrift der Vollmacht vorgelegt. Wird darauf die mangelnde Vollmacht nicht gerügt und/oder gibt die Kopie keinen Anlass für Zweifel, hat es damit sein Bewenden.
Auf der zweiten Stufe kann das Original angefordert werden, wenn es begründete Zweifel – von Amts wegen oder aufgrund einer Rüge – an der Bevollmächtigung gibt.

Schutzzweck sehen

Vom Grundsatz her will § 88 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf die Vertretung durch andere Personen als professionelle Rechtsdienstleister (§ 79 ZPO) sicherstellen, dass ein Fremder sich nicht in die Angelegenheiten anderer ohne Vollmacht einmischt. Die Norm sichert das ordnungsgemäße Verfahren. Um diesem Schutzzweck zu genügen, ist das Erfordernis der Vorlage einer Originalvollmacht nicht zu sehen. Vielmehr kann – wie in jedem Erkenntnisverfahren – auch eine Kopie zur Führung des Nachweises genügen, solange keine Anhaltspunkte für eine Fälschung oder Unwirksamkeit bestehen.

Tätigkeit eines Inkassounternehmens begründet nichts Abweichendes

Dass im vorliegenden Fall ein Inkassounternehmen tätig geworden ist, begründet keine andere Sicht der Dinge. Der Gesetzgeber hat sie zum 1.7.2008 auf der Grundlage zweier Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen in den Stand der Rechtsdienstleister erhoben und ihnen in § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO die Postulationsfähigkeit für die Mobiliarzwangsvollstreckung eingeräumt. Dies steht der Vermutung eines Vollmachtsmissbrauchs entgegen.

 

Hinweis

Tatsächlich hat eine Länderumfrage des Landes Rheinland-Pfalz im Jahr 2010 ergeben, dass in keinem Bundesland Fälle eines Vollmachtsmissbrauchs von Inkassounternehmen in Vollstreckungsverfahren festgestellt wurden. Das Registrierungsverfahren nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz und die Prüfung der Zuverlässigkeit sowie der praktischen und theoretischen Sachkunde vermitteln hinreichend die Vermutung, dass ein Inkassounternehmen nur aufgrund erteilter Vollmacht tätig wird.

Elektronischer Rechtsverkehr ändert die Verhältnisse

Trifft der BGH die Entscheidung in der Hauptsache, wird er sicherlich auch §§ 829a und 754a ZPO in den Blick nehmen müssen. Im Vorgriff auf den umfassenden elektronischen Rechtsverkehr regeln diese beiden Vorschriften die elektronische Antragstellung in der Zwangsvollstreckung. Seit 2013 in fünf Bundesländern in Kraft gesetzt, gilt diese Form der Antragstellung seit dem 1.1.2018 bundesweit. Beide Normen verlangen ausdrücklich nicht, dass die Vollmacht auch nur als Datei mit übersandt wird. Allein der Einsatz des Verfahrens spricht dafür, dass eine Vollmacht vorliegt. Selbst wenn man die Beifügung als Datei wegen § 88 Abs. 2 ZPO als erforderlich ansehen wollte, könnte dies nicht im Original geschehen. Dann würde ein Medienbruch postuliert und das Verfahren als solches entwertet.

 

Hinweis

Diese Verfahren in der Zwangsvollstreckung entsprechen der Situation des automatisierten Mahnverfahrens, bei dem ebenfalls kein Nachweis der Vollmacht erforderlich ist, § 703 ZPO.

Folgen der nicht vorgelegten Vollmacht

Erst wenn man tatsächlich eine Originalvollmacht bei Antragstellung fordern wollte, würde sich die Frage stellen, welche Folge es hat, wenn die Vollmacht bei der Antragstellung nicht vorlag.

Liegt tatsächlich keine Vollmacht vor, so liegt ein schwerer Verfahrensmangel vor und es spricht nichts gegen die Unwirksamkeit der Vollstreckungsentscheidung. Da der nur vermeintlich Vertretene selten Kenntnis von seiner Scheinvertretung haben wird, ist durchaus vertretbar, dass die Entscheidung als unwirksam angesehen wird. Hier mag eine Abwägung im Einzelfall sachdienlich sein, ...

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