Bei dem Aufsatz handelt es sich um die umfassend überarbeitete und aktualisierte Fassung des erstmals unter dem Titel Betreuungsunterhalt in der Schweiz und in Deutschland , in: Büchler / Müller-Chen (Hrsg.), Private Law: National-Global-Comparative. Festschrift für Ingeborg Schwenzer zum 60. Geburtstag, Stämpfli Verlag, Bern 2011 (S. 1251–1269) erschienenen Beitrages. Herausgebern und Verlag wird für die Abdruckgenehmigung gedankt.

I. Einleitung

Der Unterhalt wegen Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes ist familien- und gesellschaftspolitisch von herausragender Bedeutung: Von der gemeinsamen Verantwortung der Eltern geprägt, hat der Betreuungsunterhalt unter allen Unterhaltstatbeständen die eindeutig stärkste Fundierung und auch rechtstatsächlich stellt eine Kinderbetreuung unverändert den häufigsten Grund für eine Unterhaltsbedürftigkeit dar.[2] Trotz der hieraus resultierenden Notwendigkeit nach Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit steht der Betreuungsunterhalt unabhängig davon, ob es sich um einen Unterhaltsanspruch zwischen verheiratet gewesenen Eltern oder zwischen nichtverheirateten Eltern handelt, in Deutschland gleichwohl im Mittelpunkt der aktuellen unterhaltsrechtlichen Diskussion: Zahlreiche jüngere Entscheidungen aus der Rechtsprechung[3] sowie die breite und intensive, kontrovers geführte Diskussion in der Literatur[4] belegen eindrucksvoll, dass bei uns im Hinblick auf Ausgestaltung, Reichweite und Umfang des Betreuungsunterhalts unverändert zahlreiche Fragen offen sind. Deshalb mag ein rechtsvergleichender "Blick über den Zaun" auf das schweizerische Recht von Interesse sein, um der Frage nachzugehen, wie der Betreuungsunterhalt in unserem Nachbarland bei im Großen und Ganzen vergleichbaren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geregelt ist:

[2] Vgl. NK-BGB/Fränken (2. Aufl. 2010), § 1570 BGB Rn 1; MüKo/Maurer (5. Aufl. 2010), § 1570 BGB Rn 1 sowie instruktiv Schwab, FamRZ 1997, 521 (523); Limbach, NJW 1982, 1721 (1721).
[3] Vgl. allein aus der letzten Zeit zu § 1570 BGB: BGH, Urt. v. 8.8.2012 – XII ZR 97/10, NJW 2012, 3037; Urt. v. 18.4.2012 – XII ZR 65/10, FamRZ 2012, 1040 = FF 2012, 261 (LS); Urt. v. 7.3.2012 – XII ZR 25/10, FamRZ 2012, 776; Versäumnisurteil v. 15.6.2011 – XII ZR 94/09, FamRZ 2011, 1375 = FF 2011, 365; Urt. v. 1.6.2011 – XII ZR 45/09, FamRZ 2011, 1209; Urt. v. 30.3.2011 – XII ZR 3/09, FamRZ 2011, 791 = FF 2011, 251; OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.11.2011 – 2 UF 128/08, FamFR 2012, 10.

Zu § 1615l BGB: BGH, Urt. v. 29.6.2011 – XII ZR 127/09, FamRZ 2011, 1560; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 14.11.2011 – 3 UF 57/11, FamFR 2012, 322; OLG Hamm, Urt. v. 14.9.2011 – 5 UF 45/11, NJW-RR 2012, 67; OLG München, Urt. v. 11.8.2011 – 26 UF 277/11, FamRZ 2012, 558; OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.7.2011 – 14 UF 49/11, FamRZ 2012, 556; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.5.2011 – 18 UF 165/09, FamRZ 2011, 1800; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.5.2011 – 16 UF 76/11, FamRZ 2011, 1601. S. auch die Rechtsprechungsüberblicke bei Schürmann, FamRZ 2012, 913 ff.; Niepmann/Schwamb, NJW 2012, 2401 ff.

[4] Vgl. allein aus der jüngsten Zeit beispielsweise Heiderhoff, FamRZ 2012, 1604 ff.; Erbarth, FamRZ 2012, 340 ff.; Dormann/Spangenberg, FamRZ 2012, 931 ff.; Löhnig/Preisner, NJW 2012, 1479 ff.; Dose, FPR 2012, 129 ff.; Hütter, FPR 2012, 134 ff.; Schürmann, FPR 2012, 224 ff.; Born, FPR 2012, 220 ff.; Schwab, FF 2012, 138 ff.; Viefhues, FuR 2012, 7 ff.; 2011, 654 ff.; Weinreich, FuR 2012, 338 ff.; Brudermüller, FamPra.ch 2012, 78 (78–81); Meyer-Wehage, FamFR 2012, 101 ff.; Pauling, FamFR 2012, 289 f.; Elden, FamFR 2012, 290 ff.; Wellenhofer, FamRZ 2011, 685 ff.; Ständige Fachkonferenz 3 des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V., FamRZ 2011, 1031; Löhnig/Preisner, FamRZ 2011, 1537 ff.; Hütter, FamRZ 2011, 1772 ff.; Viefhues, FF 2011, 153 ff.; Schnitzler, FF 2011, 381; Hahne, FF 2011, 428 ff.; Born, FF 2011, 431 ff.; Hohmann-Dennhardt/Schnitzler, FF 2011, 470 (470–471); Schilling, FPR 2011, 145 ff.; Götz, FPR 2011, 149 ff.; Jüdt, FuR 2011, 241 ff.; Brudermüller, ZKJ 2011, 327 ff.; Kleffmann, ZKJ 2011, 344 ff. sowie umfassend Kraus, Grundlagen des Unterhaltsrechts (2011), S. 138 ff., 144 ff., 256 ff.

II. Rechtstatsachen

Das Unterhaltsrecht ist immer ein Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Für das Verständnis der jeweiligen Regelungen ist deshalb die Kenntnis des Umfelds, in dem Partnerschaft und Familie gelebt werden, von größter Bedeutung. Zur Illustration nur einige wenige, markante Punkte:[5]

[5] Vgl. die lesenswerten Gesamtdarstellungen bei Hohmann-Dennhardt, ZKJ 2007, 382 (383–385); Bertram, ZKJ 2006, 273 ff., 320 ff.

1. Anhaltend hohe Scheidungszahlen

In der Schweiz hat – ähnlich wie in Deutschland – die Zahl der Scheidungen seit den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stark zugenommen: Im Jahr 2007 zählte man dort 2,6 Scheidungen auf 1.000 Einwohner, wohingegen es in Deutschland zum gleichen Zeitpunkt 2,3 Scheidungen je 1.000 Einwohner waren.[6] Für beide Länder gilt: Kürzere Ehen erweisen sich als besonders scheidungsanfällig;[7] sowohl in der Sc...

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