Das Kindschaftsrecht wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, was die Zahl der Entscheidungen angeht, eher durch das Bundesverfassungsgericht als durch den 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs als zuständigem Fachsenat für Familiensachen geprägt. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass der BGH in dem jetzt entschiedenen Fall nach längerer Zeit wieder Gelegenheit zu grundlegenden rechtlichen Ausführungen zum Kindschaftsrecht hatte.

1. Der BGH geht in seiner neuen Entscheidung auf die grundsätzliche Bedeutung der Änderungen ein, die mit dem Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern vom 16.4.2013 erfolgt sind, mit dem insbesondere die hier im Mittelpunkt stehende Bestimmung des § 1626a BGB eingefügt worden ist. Das Gesetz geht davon aus, dass die gemeinsame elterliche Sorge den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu beiden Elternteilen entspricht.[1] Dadurch erhält diese Form der Sorge auch nach Auffassung des BGH eine gesetzliche Leitbildfunktion. Dies kommt neben dem Prüfungsmaßstab für den Fall einer streitigen Entscheidung auch darin zum Ausdruck, dass ohne ausreichenden Vortrag der Kindesmutter eine Vermutung für eine Beteiligung des Vaters an der elterlichen Sorge spricht (§ 1626a Abs. 2 S. 2 BGB) und der Amtsermittlungsgrundsatz eingeschränkt sein kann (§ 155a Abs. 4 FamFG). Dies ändert jedoch nichts an der bereits bisher vertretenen Auffassung des BGH, dass die gemeinsame Sorge und die Alleinsorge nicht in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander stehen. Vielmehr bestätigt er ausdrücklich erneut, dass es sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Änderungen um gleichberechtigte Formen der elterlichen Sorge handelt.[2]

2. Eine weitere wichtige Aussage trifft der Senat hinsichtlich der Bedeutung der negativen Kindeswohlprüfung ("dem Kindeswohl nicht widerspricht") nach § 1626a Abs. 2 BGB als Prüfungsmaßstab der vom Familiengericht zu treffenden Entscheidung. Diese auch aus anderen Bestimmungen des Kindschaftsrechts (z.B. in §§ 1671 Abs. 3, 1680 Abs. 2 BGB) bekannte Regelung ist bisher überwiegend in dem Sinn verstanden worden, dass die Anforderungen an die Kindeswohlprüfung geringer sind als in den Fällen, in denen das Gesetz eine positive Kindeswohlprüfung vorsieht.[3] Auch die Gesetzesbegründung geht erkennbar davon aus, dass mit der negativen Kindeswohlprüfung anstelle der in der Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts vorgesehenen positiven Kindeswohlprüfung die Möglichkeit der Teilhabe des nicht mit der Kindesmutter verheirateten Vaters an der elterlichen Sorge erleichtert wird.[4] Dies sei wegen der bereits erwähnten Leitbildfunktion der gemeinsamen Sorge gerechtfertigt. Demgegenüber führt der Senat aus, dass sich der Prüfungsmaßstab der negativen Kindeswohlprüfung nach § 1626a Abs. 2 BGB nicht von dem der positiven Kindeswohlprüfung in § 1671 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB ("dem Wohl des Kindes am besten entspricht") unterscheide, soweit es um die Übertragung oder Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge gehe.

Diese auch in der Rechtsprechung und Literatur bisher nur vereinzelt vertretene Auffassung erscheint zutreffend, da unterschiedliche Anforderungen an die Kindeswohlverträglichkeit bei der Übertragung der gemeinsamen Sorge und im Falle der Trennung der Eltern bei deren Aufhebung nicht gerechtfertigt sind. Dabei ist allerdings das vom Senat herangezogene Argument eines widersprüchlichen Ergebnisses dadurch, dass die wegen geringerer Anforderungen erfolgte Übertragung der Sorge nach § 1626a Abs. 2 BGB auf den Antrag der Mutter nach §§ 1696 Abs. 1 S. 2, 1671 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB wegen der dann zu stellenden höheren Anforderungen an die Belassung der gemeinsamen elterlichen Sorge sogleich wieder rückgängig gemacht werden müsse, nicht stichhaltig. Der Abänderungsantrag der Mutter würde nämlich an der hohen Schwelle für eine solche Maßnahme ("triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe") scheitern.

Die unterschiedliche gesetzliche Formulierung der positiven und negativen Kindeswohlprüfung beruht auf der unterschiedlichen rechtlichen Ausgangssituation in den Sachverhalten, die den beiden Regelungen zugrunde liegen. Bei § 1671 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB geht es nicht nur um die Aufhebung der gemeinsamen Sorge, sondern zusätzlich noch um die Übertragung der Alleinsorge, so dass die Notwendigkeit besteht unter den in Betracht kommenden Alleinsorgeregelungen die dem Kindeswohl am besten entsprechende zu bestimmen. Steht wegen des Ruhens der elterlichen Sorge des einen Elternteils nur der andere Elternteil zur Ausübung der elterlichen Sorge zur Verfügung, so sieht § 1671 Abs. 3 BGB folgerichtig vor, dass dessen Antrag auf Übertragung der Sorge nach § 1671 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB zu behandeln ist mit der Maßgabe, dass diese Regelung nicht dem Kindeswohl widersprechen darf.

3. Bei der Kindeswohlprüfung ist also sowohl im Fall der Anordnung als auch der Aufhebung der gemeinsamen Sorge festzustellen, ob eine tragfähige soziale Beziehung zwischen dem Vater und...

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