BRAO § 43a Abs. 4; BORA § 3 Abs. 1; BGB § 1603 Abs. 3 S. 1

Leitsatz

1. Erteilt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer einem Kammermitglied einen belehrenden Hinweis, so stellt dieser einen Verwaltungsakt dar, der nach §§ 112a Abs. 1, 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 42 VwGO mit der Anfechtungsklage anfechtbar ist.

2. Zugewinnausgleich und der Unterhaltsanspruch des volljährigen Kindes gegen seine Eltern betreffen dieselbe Rechtssache.

3. Die Interessen, die der Anwalt im Rahmen des ihm erteilten Auftrags zu vertreten hat, sind objektiv zu bestimmen. Im rechtlichen Ausgangspunkt stehen die Interessen eines unterhaltsberechtigten volljährigen Kindes im Widerspruch zu denjenigen seiner Eltern, die beide Unterhalt schulden und gemäß § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen haften.

4. Ob widerstreitende Interessen vertreten werden, kann nicht ohne Blick auf die konkreten Umstände des Falles beurteilt werden. Maßgeblich ist, ob der in den anzuwendenden Rechtsvorschriften typisierte Interessenkonflikt im konkreten Fall tatsächlich auftritt. Das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt verstößt gegen das Übermaßverbot und ist verfassungsrechtlich unzulässig.

(Leitsätze der Redaktion)

BGH, Urt. v. 23.4.2012 – AnwZ (Brfg) 35/11 (AGH Hamm)

1 Tatbestand:

Die Klägerin ist eine im Bezirk der Beklagten zugelassene Rechtsanwältin. Am 18.3.2010 erteilte die Beklagte der Klägerin einen belehrenden Hinweis, in dem es unter anderem heißt:

“Sie vertreten Herrn Dr. A. C. in dessen Scheidungsverfahren sowie in der Folgesache Zugewinnausgleich gegen die Ehefrau Ihres Mandanten, Frau B. C. … Mit Datum vom 26.6.2009 haben Sie zudem auch für den volljährigen Sohn der Eheleute, Herrn M. C., Klage vor dem Amtsgericht Bi. auf Zahlung von Kindesunterhalt gegen Frau B. C. erhoben. Im Rahmen des gegen Sie bei der Rechtsanwaltskammer H. eingeleiteten Beschwerdeverfahrens haben Sie eine Erklärung des Herrn Dr. A. C. vom 2.10.2009 vorgelegt, in der dieser sein Einverständnis Ihnen gegenüber erklärt, dass Sie sowohl ihn als auch seinen Sohn anwaltlich vertreten. Ferner haben Sie eine Erklärung des Herrn M. C. vom 9.10.2009 überreicht, in der dieser erklärt, dass es eine Interessenkollision für ihn nicht gebe und er selbst gewollt habe, dass Sie Unterhaltsansprüche gegenüber seiner Mutter durchsetzen. …

Die Vertretung des Herrn Dr. A. C. einerseits und des Herrn M. C. andererseits, jeweils gegen Frau B. C., verstößt gegen § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA, da Sie Ihre Mandanten in derselben Rechtssache vertreten und zwischen Ihren Mandanten objektiv widerstreitende Interessen bestehen. … Das Interesse Ihres Mandanten Dr. C. in den Scheidungs- und Zugewinnausgleichsverfahren ist auf die Anerkennung einer geringen eigenen Vermögenslage zur Abwehr von Zugewinnausgleichs- und ggf. sich anschließender Unterhaltsansprüche der Frau B. C. gerichtet. Das Interesse des Herrn M. C. besteht dagegen in der Feststellung einer hohen Vermögenslage sowohl seiner Mutter als auch seines Vaters zugunsten seiner eigenen Unterhaltsansprüche gegen diese. Denn neben dem derzeit geltend gemachten Unterhaltsanspruch gegen seine Mutter B. C. bestehen grundsätzlich auch Unterhaltsansprüche des Herrn M. C. gegen seinen Vater Dr. C., weil die Voraussetzungen des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB entfallen sind. …

Das Vorliegen widerstreitender Interessen wird auch nicht durch das Einverständnis des Herrn Dr. C. und des Herrn M. C. zu deren jeweiliger Vertretung durch Sie aufgehoben. … Gemäß § 3 Abs. 3 BORA sind Sie somit verpflichtet, alle Mandate, also sowohl die Mandate des Herrn Dr. A. C. als auch das Mandat des Herrn M. C., zu beenden.“

Gegen diesen mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen und förmlich zugestellten Hinweis hat die Klägerin fristgerecht Klage erhoben. Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und ergänzend darauf hingewiesen, dass B. C. mit Schreiben vom 9.2.2010 Trennungsunterhalt von Dr. A. C. verlangt und ihren Anspruch mit Antrag vom 8.6.2010 eingeklagt habe; auch in diesem Verfahren werde Dr. A. C. von der Klägerin vertreten.

Der Anwaltsgerichtshof hat den belehrenden Hinweis aufgehoben (BRAK-Mitt. 2011, 250). Mit ihrer vom Anwaltsgerichtshof zugelassenen Berufung will die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.

2 Gründe:

Die Berufung ist nach § 112e Satz 1 BRAO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 2, 3 VwGO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 112a Abs. 1, § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 VwGO) statthaft. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO hat er die Erfüllung der den Kammermitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Stellt der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer in Wahrnehmung seiner Aufgaben fest, dass sich ein Rechtsanwalt berufswid...

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