BGB § 1632 Abs. 1 § 1684 Abs. 2 analog

Leitsatz

1. Der personensorgeberechtigte Elternteil hat wie auch der umgangsberechtigte Elternteil in entsprechender Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB grundsätzlich einen Anspruch auf Herausgabe des Kinderreisepasses. (Rn 11, 19)

2. Der Herausgabeanspruch besteht nur insoweit, als der berechtigte Elternteil für die Ausübung seines Rechts den Kinderreisepass benötigt. (Rn 31)

3. Die berechtigte Besorgnis, dass der die Herausgabe begehrende Elternteil mit Hilfe des Kinderreisepasses seine elterlichen Befugnisse überschreiten (etwa das Kind ins Ausland entführen) will, kann dem Herausgabeanspruch entgegenstehen. (Rn 32)

BGH, Beschl. v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18 (OLG Stuttgart, AG Esslingen)

1 Gründe:

[1] A. Die beteiligten Eltern streiten um die Herausgabe eines Kinderreisepasses.

[2] Die Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Mutter) und der Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Vater) sind die Eltern ihres im Januar 2016 geborenen Kindes. Die nicht verheirateten und getrennt lebenden Eltern üben die gemeinsame elterliche Sorge aus. Das Kind hat aufgrund einer entsprechenden Elternvereinbarung seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner Mutter. Diese stammt aus Kamerun, hat in Deutschland Asyl beantragt und möchte, nachdem sie den Realschulabschluss bereits erlangt hat, hier weiter die Schule besuchen.

[3] Die Mutter hat beantragt, dem Vater aufzugeben, den in seinem Besitz befindlichen Kinderreisepass an sie herauszugeben. Das Amtsgericht hat den Vater antragsgemäß verpflichtet. Das Oberlandesgericht hat auf die Beschwerde des Vaters die angefochtene Entscheidung abgeändert und den Antrag auf Herausgabe des Passes abgelehnt. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts wendet sich die Mutter mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

[4] B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Beschwerde.

[5] I. Das Oberlandesgericht hat die Beteiligten zunächst darauf hingewiesen, dass vor dem Hintergrund der Verwurzelung der Mutter im Inland eine Rückkehr der Mutter mit dem Kind in das Ausland nicht zu befürchten sei. Gleichwohl hat es den Antrag der Mutter auf Herausgabe des Kinderreisepasses zurückgewiesen, weil eine Rechtsgrundlage hierfür nicht existiere.

[6] Die Vorschrift des § 1632 Abs. 1 BGB selbst begründe einen solchen Anspruch nicht. Diese Norm, die die Herausgabe "eines Kindes" regele, könne nicht im Wege einer extensiven Auslegung auf die Herausgabe von Sachen erstreckt werden, da damit der noch mögliche Wortsinn der Norm überschritten würde.

[7] Auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf ein Ausweisdokument für das Kind lägen nicht vor. Die zweifelsfrei bestehende Regelungslücke im Gesetz sei nicht unbeabsichtigt. Dem Gesetzgeber sei bei Erlass des FGG-Reformgesetzes bewusst gewesen, dass die aufgehobene Vorschrift des § 50d FGG, die im Übrigen im vorliegenden Fall mangels gerichtlicher Anordnung der Herausgabe des Kindes nicht anwendbar gewesen wäre, keine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für eine Verpflichtung zur Herausgabe von Sachen darstelle, sondern lediglich dem Gericht eine verfahrensrechtliche Regelungsbefugnis vermittelt habe. Dennoch habe der Gesetzgeber eine entsprechende Rechtsgrundlage nicht geschaffen.

[8] Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mutter gegen den Vater ein Herausgabeanspruch aus besitzrechtlichen Gründen oder unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten zustehen könnte.

[9] Da auch eine Rechtsgrundlage für einen Anspruch des Kindes gegen einen Elternteil auf Herausgabe des Kinderreisepasses nicht ersichtlich sei, komme es nicht darauf an, ob die Mutter, etwa in Ausübung ihrer Entscheidungsbefugnis in Angelegenheiten des täglichen Lebens nach § 1687 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB, einen derartigen Anspruch für das Kind geltend machen könnte.

[10] II. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

[11] Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts folgt die Verpflichtung, den Kinderreisepass an die Mutter herauszugeben, aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB.

[12] 1. Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob es einen solchen Herausgabeanspruch gibt bzw. auf welche Rechtsgrundlage sich dieser gründet.

[13] a) Nach einer Auffassung, der das Oberlandesgericht gefolgt ist, fehlt es bereits an einer Anspruchsgrundlage. Danach besteht eine Gesetzeslücke, die dringend der Schließung bedarf (Peschel-Gutzeit, MDR 1984, 890, 895).

[14] b) Demgegenüber hält die überwiegende Meinung eine Anspruchsgrundlage für gegeben.

[15] aa) Zum einen wird auf eine extensive Auslegung des § 1632 Abs. 1 BGB abgestellt (Gottschalk, ZKJ 2016, 62, 64; Erman/Döll, BGB, 15. Aufl., § 1632 Rn 15; MüKo-BGB/Huber, 7. Aufl., § 1632 Rn 23; BeckOGK/Kerscher, BGB, Stand 1.9.2018, § 1632 Rn 11; zum Streitstand vgl. auch Götz, FamRZ 2018, 519, 520 Fn 9 und Palandt/Götz, BGB, 78. Aufl., § 1632 Rn 6).

[16] bb) Das OLG Frankfurt hat – allerdings ohne Nennung einer kon...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge